Alpencross Teil 2/4

Fortsetzung von Alpencross Teil 1

…Tag 2: Alle Knochen schmerzen, Mein Hintern sieht aus wie mein Gesicht als ich etwa 14 Jahre alt war: pickelig und rot. Nicht im Traum würde mir einfallen mich heute auf ein Fahrrad zu schwingen, würde ich denn eine Wahl haben. Im Laufe des gestrigen Abends ist uns noch aufgefallen in was für ein esoterisches Haus wir eigentlich geraten sind. Überall wimmelt von Angeboten für Heilsteine und Heilmassagen. Außerdem haben wir erfahren, dass das Gelände durch das Errichten von Pyramiden “entstört” ist. Vielecht hab ich ja deshalb so sau tief geschlafen. Wer weiß?

Also: Bepanten und Gesäßcreme wechseln sich bei der Behandlung meiner wunden Stellen ab und mit frisch gewaschenen und trockenen Kleidern geht es weiter. Heute ist ganz klar ein Tag für die Hose mit dem dicken Polster doch zuvor bedarf es eines Frühstücks. Spiegelei mit Speck, Müsli mit Früchten und Brote so viele in den Bauch passen. So sieht das ganze doch schon besser aus, nachdem unser gestriges Frühstück eher dürftig ausgesehen hat. In dieser Hinsicht ist unser Gästehaus ein reines Schlaraffenland.

Die Rucksäcke sind schon wieder gepackt und vor uns liegt ein zapfiger Downhill. Der klappt schon besser als der gestrige. Wird schon werden. Das Projekt des Tages lautet: über das Schlappiner Joch in  die Schweiz. Die Idee ist gut muss nur noch hingeradelt werden. Dann mal los. eine Stunde später als geplant. Der Tag beginnt mit einer Einkaufstour im Tal. Bananen, Müsliriegel, Magnesium und Niveaucreme müssen her. Dann geht es endlich auf den Asphalt. Stundenland zieht sich die Straße bergauf und schnell bin ich innerlich wieder am fluchen. Die Hitze macht mich fertig. Nur das Überholmanöver einer Radelgruppe vom Bodensee, wie sich später rausstellt, gibt mir das Gefühl kein kompletter Puddingkörper zu sein. Mit ihren super teuren Rädern und kleinen leichten Tagesrucksäcken sind die etwas gemütlicher als wir unterwegs. Es geht auch anders.

Endlich erreichen wir das Ende der Asphaltstraße und unser GPS-Track führt uns in das Tal, welches uns zu unserem heutigen Gipfel führen soll. Endlich wieder schöne Natur um einen herum. Auf der Teerstraße macht eine Alpenüberquerung schließlich wenig Sinn. Es geht zwar weiter bergauf, doch die gelegentlichen Trink-, Riegel-, und Staunpausen lassen uns unsere wunden Hintern und schmerzenden Beide immer wieder vergessen. Trotz allen Schmerzen: Eine wahnsinnig schöne Aktion. Nicht nur die Landschaft entschädigt sondern auch die Stimmung die in unserer Truppe herrscht. Ich bin froh mit zwei feinen, fairen Kameraden unterwegs zu sein bei denen ich mir jetzt schon sicher sein kann: Das wird klappen. Keinen Zweifel.

Die letzten 1 1/2 Stunden zum Schlappiner Joch sind nicht fahrbar, daher berühren unsere Räder nicht den Boden sondern lassen sich fein von ihren Besitzern hinauftragen. Was für eine Anstrengung. Immer wieder heißt es trinken, pausieren, photos schießen und sich sagen: “is nimma weit.” Irgendwann haben wir es dann auch geschafft. Die Schweizer Grenze liegt unter uns und mit ihr auch der höchste Punkt der heutigen Etappe. 2200 hm – gar nicht so schlecht.

Was jetzt auf uns wartet ist der Grund warum Biker sich weltweit überhaupt Berge hochquälen. Trails! Trails der Spitzenklasse! Jede Kehre ist eine Herausforderung und immer wieder ein neuer Kick. Das Moto lautet: “Geschwindigkeit gibt Sicherheit” und dieser Weisheit treu folgend steigt mit jeder bezwungenen Wurzel und jedem Meter in die Tiefe das Adrenalin. Ich sprinte sogar die kurzen Schiebepassagen mit dem Bike auf der Schulter. Zum Rumstehen viel zu schade. Ich bin im Rausch und dennoch hoch konzentriert. Hin und wieder gönnen wir unseren Fingern und unseren Bremsen eine Verschnaufpause. Die Anstrengungen vom Aufstieg sind schon längst vergessen. Und das schönste: Diese Abfahrt nimmt anscheinend kein Ende.

Leider nimmt die Abfahrt sehr wohl ein Ende und auch die Schweizer Anstiege sind in der Lage uns Anstrengung abzuverlangen. Die letzten zwei Stunden überstehe ich nur mit Hilfe von Traubenzucker und der unerschütterlichen guter Laune von Johannes, der anscheinend niemals müde wird. Mittlerweile trete ich schon die lächerlich flachen Anstiege im leichtesten Gang und bin dementsprechend erleichtern als wir endlich unsere Jugendherberge in Davos erreichen. Die zweite Etappe ist bezwungen.

Unser Zimmer ist zweckmäßig gemütlich und für eine Jugendherberge ein wenig zu sauber. Johannes stellt missmutig fest, dass wir gar keinen Save im Zimmer haben doch er lässt sich mit dem Radio trösten. Offensichtlich sind wir doch alle müde geworden. Lennart leitet den Crashkurs im stretching und Johnnes und ich machen eifrig mit. Unsere Kleider müssen wir heute selber waschen, die morgige Etappe wird durchgesprochen und schnell wie ab Vorabend schlafen drei Biker ein um von Trails zu träumen.

Tag: 3:
06:15 Uhr, der Wecker klingelt uns wach. Heute wird es viel zu fahren geben.
Im Vorfeld wurde die dritte Etappe von uns als die Königsetappe bezeichnet. Wir werden sehen was es damit auf sich hat. Zwei Gipfel warten heute auf uns, wobei die Gipfel lediglich unsere persönlichen Gipfel sein werden, da man bei einem Alpencross lediglich meistens den Grad überquert und auf Gipfelbesteigungen verzichtet.

Nach unserem Frühstück in der Jugendherberge geht es pünktlich um 8.00 plus Trödelminuten am Frühstückstisch los. Schon am Ortsende von Davos ist unser Asphaltteil vorbei. So gefällt uns das. Kaum warmgeradelt schon mitten in der freien Natur. Von Menschen ist in diesem Tal keine Spur. Verlassen und vernebelt erstreckt sich ein wunderschönes Tal vor uns. Das Wetter ist trüb und die Luft kalt daher tragen wir alle unsere Regenjacken oder haben uns unsere Ärmel übergestreift. Der Nebel und die schemenhafte Sicht lässt uns die Landschaft noch unwirklicher und wahnsinniger erscheinen. Ich glaube das kein kitschiger Kinderbuchillustrator sich nur annähernd so eine schöne Landschaft ausdenken könnte.

Meine Beine schmerzen und meine Pumpe tut was sie tun soll: pumpen. Doch trotz aller Anstrengungen ist der Weg durch dieses Tal ein einziger Genuss. Die Vegetation wird zunehmend felsiger und karger, fast schon nordisch. Dabei sind wir gerade in den Süden unterwegs. Immer wieder müssen wir uns entschließen der Landschaft eine Pause zu widmen. Schroff und felsig, kalt und feucht aber wunderschön. Ab und zu blinzelt sogar die Sonne hervor. Wir kämpfen uns mit dem Fahrrädern auf dem Rücken durch die Felslandschaft und haben debei strahlende Gesichter. Wir sind nun endlich auch innerlich auf unserem Alpencross angekommen.

Lennart und Ich knacken unseren Höhenrekord. Der Scallettapass liegt mit seinen 2606 Höhenmetern über allen Punkten die ich bis heute außerhalb eines Flugzeuges betreten habe. Grund für ein Gipfelbild. Wir sind in Sorge ob der Weg runterwärts ebenso schwer sein wird wie der Weg nach oben. Falls das der Fall sein sollte werden wir unsere Bikes nicht nur den Berg nach oben sondern auch wieder nach unten getragen haben. Wir haben Glück: mit zusammengebissenen Zähnen, ausgefahrener Federgabel und viel Konzentration entpuppt sich die Abfahrt zu einem Trail wie ihn kein Downhillerarchiteckt  besser entwerfen hätte können. Der Kampf gegen den Felspfad ist ein wahres Vergnügen. Auch meiner Bremse wird es nicht langweilig. Notgedrungen muss unser Mechaniker auf 2500 Meter Höhe meine Entschleunigungapparatur neu einstellen. Das ganze unter der sorgfältigen Beobachtung freilaufender Schweine, Pferde und umringt von einer Landschaft die uns immer wieder den Atem verschlägt. Auch für einen erfahrenen Zweirad-Mechaniker ein seltenes Erlebnis.

Mit Riegeln und Käsebroten im Magen und Freude im Herzen feiern wir die Abfahrt mit dem einzigen Mitteln was wir haben: Geschwindigkeit. Mit starrem Blick nach vorne und den Fingern am Bremshebel lassen wir uns in das vor uns liegende Tal schießen. Die Landschaft ist schön aber eben auch schnell am vorbeiziehen. Was für ein Kick! Irgendwann ist jede Abfahrt vorbei und auch heute müssen wir noch einiges wieder bergauf fahren. Durch den Nationalpark treten wir uns auf Forstwegen unserem nächsten Gipfel entgegen.

Unterwegs kommt uns ein weitere Fahrradfahrer entgegen. Als wir ihm, neidvoll auf seine Geschwindigkeit, nachblicken sehen wir, dass der gute Mann sein Kind auf dem Rücken trägt. In Schieflage und mit gefährlich hoher Geschwindigkeit ist der Mitfahrer ein durchaus skurriler wenn auch kurzer Anblick. Soll noch mal einer sagen die Schweizer wären langsam unterwegs. Für ein Foto war der Moment, wie so viele, dann doch leider zu schnell vorbei.

 

Auf unserem weiteren Weg nach oben, den ich mir mittlerweile mit Traubenzucker pflastere, begegnen wir noch einer Reitergruppe bis wir wieder alleine sind. Das Wetter verschlechtert sich mit jeder Minute und jedem Meter Richtung Himmel. An der Chachauna Alm passiert mit was unter allen Alpenüberquerern mindestens so gefürchtet ist wie ein Platten. Der Unterzucker. Mist. Mir ist kalt wie im Winter und mein Magen rebelliert bei jedem Schritt. Mein Bike kann ich mittlerweile nur noch schieben und das auch nur mit Pausen nach allen 50 Metern. Als ich meine geduldigen Mitfahrer endlich erreiche greif ich zur Notmaßnahme: der Megariegel mit extra Energie. Zäh und trocken aber notwendig wenn ich das kommende überstehen will. Wir stehen 600 Höhenmeter vor unserer höchsten Überschreitung.

Das Wetter ist mittlerweile einfach zu beschreiben. Regen, Wind und Kälte. Eine optimale Zusammensetzung für Abenteuerstimmung. Wenn ich nicht wüsste, dass kurz hinter dem Pass unsere Unterkunft liegt würde ich vermutlich wieder zurück ins Tal fahren. Aber was sein muss muss sein uns so machen nehmen wir die letzte Herausforderung des Tages an.

Schon nach wenigen Metern ist fahren nicht mehr möglich. Es ist einfach zu steil und zu nass. Also wir erst geschoben und schließlich doch getragen. Kurve um Kurve kämpft sich jeder von uns alleine die matschige Linie durch die Nebellandschaft entlang nach oben. Unsere Füße und auch unsere Beine sind mittlerweile ausschließlich nass und auch durch das Tagen des Bikes sickert mit langsam auch Regenwassen in den Ärmel. Dazu kommt die Kälte und die schlechte Sicht. Eineinhalb Stunden dauert die Quällerrei. Meine Füße versinken im Schlamm und ich rutsche immer wieder ab. Einer der Momente an denen ein Alpencross weniger Spaß macht.

Johannes und Lennart sind mittlerweile schon oben angekommen während ich noch mit meinem Puls und den fehlenden Muskeln zu kämpfen habe. Auf den letzten Metern kommt mir Lennart entgegen und nimmt mir mein Fahrrad ab. Die letzten Meter werden gejoggt. Endlich angekommen! Doch von Gipfelidylle ist hier oben keine Spur. Der Grad besteht lediglich aus einem Blechschild an einem Wegweiser inmitten einer Wüste aus Schlamm und Nebel. Als ich oben ankomme wird mir schnell klar warum Lennart nicht länger oben warten wollte. Es ist eisig kalt. Die nassen Kleider und der Wind machen es nicht gerade gemütlicher. Das Gipfelbild welches ich mir schon seit heute morgen ausmale fällt eher sporadisch aus. Schnell hinstellen und dann schnell weg hier. Das ich heute schon zum zweiten mal meinen Höhenrekord breche ist mir so egal wie die Farbe meiner Socken.

Es geht hinunter in den Nebel. Den Trail bis zu unserer Hütte kann ich bedingt durch Wetter und Müdigkeit nicht unbedingt genießen. Nasse Trails im steilen Felsgelände sind einfach nur gefährlich. Es geht vorüber ohne großen Schaden an Mann und Maschine und nach 10 Minuten lichtet sich schließlich der Nebel und unsere Unterkunft ist erreicht.

Mit der letzten Überschreitung sind wir in Italien angelangt. Das bedeutet, dass man mit deutsch nicht unbedingt weit kommt. Auch nicht in einem Betonklotz für Touristen. Als wir in die Schutzhütte eintreffen begrüßt uns ein junger Italiener von etwa 13 Jahren. Mit Händen und Füßen bittet er uns hinein. Der Raum in den wir treten ist vor allem dadurch unverwechselbar, dass er keinen einheitlichen Einrichtungsstil ausweisen kann. Wir haben das Gefühl, dass alles was man hier hoch schaffen konnte hochgeschafft wurde. Wanderkarten der Gegend und Bikerposter wechseln sich ab mit Häkelgardinen, Kupfergeschirr und Tierbildern in fotografischer sowie in zeichnerischer Form. Diverse Fahnen und ein Cocacolakühlschrank runden das Ambiente ab. Besonders skurril wird das Szenario dadurch, dass kein einziger erwachsener Gastwirt zu sehen ist. Nur eine Gruppe italienischer Kinder die schreiend um einen Gameboy sitzen scheinen zum Haus zu gehören.

Wir sind nicht die einzigen Gäste. Der dunkle Raum ist vollgehängt mit nassen Bikerklamotten. Am Kamin sitzt eine vierköpfige Alpencross-Gruppe die cappuccinotrinkend bekunden, dass sie auch gerne um halb 5 an ihrem Zielort angekommen wären. Offenbar sind die guten ihr Ziel für heute noch nicht erreicht. Die selbe Truppe werden wir später auf dieser Reise wieder treffen und uns erzählen lassen, dass die top ausgerüsteten jungen Burschen auch mal gerne den Lift bergauf nehmen oder eine langweilige Etappe mit dem Bus zurücklegen. Warmduscher denken wir uns und sind noch ein bisschen stolzer auf uns selbst.

Wir haben unser Ziel für heute erreicht. Nachdem wir uns etwas aufgewärmt und unseren ersten Hunger mit lächerlich kleinen Portionen Spagetti gestillt haben müssen wir feststellen, dass die Betten im Lager zwar großzügig weich, die Zimmertemperatur allerdings sich von der Außentemperatur so gut wie nicht unterscheidet. Die Decken die wir vorfinden sind dünn wie Handtücher. Das kann ja heiter werden. Besonders Lennart wird unruhig, da er keine lange Hose dabei hat. Unsere Knie sind von der Salbe gegen Schmerzen kalt und wollen scheinbar nicht mehr warm werden. Der lächerlich kleine Kachelofen ändert daran auch nicht viel. Wäsche waschen für 5 Euro ist uns zu teuer und auch die Speisekarte bietet wenig preiswertes.

Wir bestellen in der Stube ein Weizen und noch ein zweites. Irgendwann entschließe ich mich den Jungen nach dickeren Decken zu fragen und tatsächlich wenigsten die lassen sich auftreiben. Mit dem dritten Weizen und mehr Holz im Kamin wird es doch tatsächlich ein wenig gemütlich. Der dritte Tag endet doch noch glücklich.

Fortsetzung hier.

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