Kunstblut und schlimme Weiber

Sachen passierten. Manchmal mehr manchmal weniger. Heute zu Beispiel eher weniger. Ich habe zwar die wenigste Zeit nichts gemacht, aber die Wohnung habe ich dabei auch nicht umbedingt verlassen. Das musste ich auch nicht. der Kühlschrank ist gefüllt, die Konzerte und Poetryslams sind anderen Tagen und meine FH bietet mir heute keine Unterhaltung. Warum also rausgehen? Das ist in Ordnung, denn so habe ich Zeit mich an meinen neuen Wohnraum zu gewöhnen und diesen im Rahmen meiner Möglichkeiten zu verbessern.

Aufräumen, rum räumen, Staubsaugen, Staubwischen und alles was man so macht wenn man einfach nichts machen will und trotzdem nicht nichts machen will.
Andere Tage gibt es da passiert viel. Am Donnerstag war zum Beispiel so ein Tag. Ein Nebenjob war mal wieder fällig. Der Anruf dazu kam am Nachmittag vorher. Ob ich den Zeit hätte morgen um vier Uhr morgens ginge es los und es ginge nach Dänemark. Mit dem LKW und das den ganzen Tag.

Ich sage zu. Natürlich sage ich zu. So viele Stunden arbeiten kann ich gerade gut gebrauchen. Problem ist erstmal nur die Entfernung zum Startpunkt. Um diese Uhrzeit kommt man nicht so leicht in das weit draußen liegende Industriegebiet in dem der Laster steht und von dem es aus los geht. Also heißt es Nachbus fahren. Um halb zwei verlasse ich die Wohnung. Drei Stunden hab ich noch geschlafen und einen starken Kaffe hab ich mir noch gegönnt. Ab hier beginnen die Ereignisse:

Erste Geschichte: Pöbel im Nachtbus. Er hat es von Anfang an daraus angelegt. Der angetrunkene Tunesier. Er hatte einfach Bock auf Stress. Er war wie man es so schön sagt auf Krawall gebürstet. Die Sache war nur die: mir ging es anders, ich habe selten bis niemals Bock auf Stress. Er reckt sein Bein schon mal über den Flur so das ich nur vorbeikomme indem ich über ihn steige. Nur keine Konfrontation denk ich mir, aber denken tu ich ja viel. Mein Gegenüber steht auf und setzt sich nach hinten in den Bus direkt neben mich und beginnt mich nach der Uhrzeit zu fragen. Er riecht nach Schnaps und wird schnell übergriffig. Es lehnt sich an mich und quatsch mir betrunkene Silben in mein Ohr.

Freundlich bleibe ich. Nur keine Angriffsfläche bieten. Ich stehe also auf und will mich woanders hin setzten. Doch der Randalierer packt mich kräftig am Arm und versucht mich wieder nach untern zu zeihen. Ich soll gefälligst sitzen bleiben. Ich hab spätestens jetzt richtig Schiss. Zum Glück kommt mir eine anderer Mitfahrern zu Hilfe. Er redet auf den Proleten ein in ich reiße mich los. Danke an dieser Stelle für deine Zivilcourage. Du warst der einzige der mir geholfen hat und ich konnte mich nicht einmal bei dir bedanken.

Ich sitze jetzt weiter vorne im Bus und versuch nicht in die Richtung zu sehen von der die Handymusik dröhnt. Wenig später kommt der Typ wieder zu mir; er setzt sich gegenüber von mir und versucht provokant Fragen zu stellen. Wo ich glaube wo wir sind? Ob das Deutschland sei. Ob ich von hier komme und so weiter. Wirres Zeug eben mit dem ich nichts anfangen kann. Mit größter Not versuche ich freundlich zu bleiben damit er das Interesse an mir verliert doch den junge Mann lässt nicht locker. Irgendwann beginnt er mich auf englisch an zu rappen und mir an den Kopf und ins Gesicht zu greifen. Völlig hilflos sitz ich da und versuch mich weg zu ducken.

Irgendwann kommt zu Glück meine Haltestelle. Ich ahne, dass mein „Freund“ mich nicht so schnell aufgeben will und gehe zum Busfahrer um ihm zu sagen, dass er mir bitte Bescheid sagen soll, wenn er die Türen schließt, damit ich schnell ausschlüpfen kann. Der Plan funktioniert und ich sehe meinen abgeschüttelten Aggressor im Bus wie er mir etwas nachschimpft. Drecksack.

Bis ich wieder klar komme und mein Körper das Adrenalin abgebaut hat wird wird noch eine ganze Weile vergehen. Warum ich und warum überhaupt?

Zweite Geschichte:
Meine Busroute sieht vor noch zweimal um zu steigen und das letzte Stück zu Fuß zu laufen. Was die guten Leute von jobcafe wohl nicht bedacht oder bemerkt haben ist die Tatsache, dass der Fußweg sich über eine drei viertel Stunde erstreckt und durch unbeleuchtete Feld und Waldwege führt. Kalt, dunkel und sowieso alles nicht geil mit dem gerade Erlebten durch die Finsternis laufen. Wie gerne hätte ich jetzt unseren Hund bei mir. Ein treuer Gefährte und ein tapferer Beschützer dem die Dunkelheit so egal ist wie ein frischer Salat.

Ein alter psychologischer Trick verkürzt mir den Weg. Lautes Singen. Aus vollem Halse singe ich mir die Angst aus den Knochen und siehe da: Das ersehnte Industriegebiet taucht aus dem Nebel auf.

Dritte Geschichte:
Mein Kollege, der LKW-Fahrer ist gerade dabei seine Morgenhygiene zu verrichten. Klaus, 60 Jahre, kommt aus Sachsenanhalt, ist klein, trägt weiße verstrubbelte Haare im ganzen Gesicht und einen Bierbauch den nur Berufsfahrer tragen können. Ein netter Kerl mit derben Humor und einer Stimme die auf unzählige Zigaretten schließen lassen. Wir werden heute wohl den tag miteinander verbringen. Ist mir recht.

Kaum hab ich es mir auf dem gemütlichsten Sitzt der Welt gemütlich gemacht lass ich mich in mein erstes Nickerchen schaukeln. Bis zur Fähre darf ich schlafen. Danach werd ich Zeuge wie sich zwei Kollegen von Klaus, (also auch Fernfahrer) um 6 Uhr morgens ein Bier und zwei Jägermeister genehmigen. Das führt natürlich zu großen Diskussionen unter den braven LKWlern. Ein Bier um die Uhrzeit könnt ich sowieso nicht vorstellen, ist alles was ich dazu beitragen kann. Ich bin müde.

Klaus geht noch mal scheißen wie er mir mitteilt und so ist die Stunde auf dem Wasser auch schon rum. Ist mir recht, denn ich will wieder auf den bequemen Stuhl in der Fahrerkabine.

Vierte Geschichte.
Um 8 Uhr kommen wir zu unserer ersten Station. Wir liefern übrigens Möbel aus. Tische und Stühle wie man sie überall findet außer in privaten Wohnungen. Praktisch und stabil aber eben nicht schön genug für den eigenen Wohnraum. Erster Kunde ist eine Förderschule für schwerbehinderte KIinder. Mir fällt auf wie wenig Kinder und wie viele Betreuer zu sehen sind. Fast eine eins zu eins Betreuung. Find ich halt als Sozialheini interessant.

Der Hausmeister versteht kein Wort Deutsch und kaum Englisch und wir kein Wort Dänisch. So wir es auch den Rest des Tages laufen. Hände, Füße und Lächeln.
Nette Menschen diese Dänen. Angeblich die glücklichsten Menschen auf der Erde. Und das auch unter schwerkranken Personen.

Fünfte Geschichte:
Meine Lieblingsgeschichte: Das Navigationsgerät welches eigentlich schon für LKWs gemacht ist führt uns zu unserer nächsten Station: zu einen Kaserne. Nur leider nicht auf dem einfachen Weg über die Bundesstraße sondern von der falschen Seite durch Wald und Wiesen. Mit einem 40-Tonner und einem Anhänger wohlgemerkt. Klaus flucht vor sich hin wie er es schon den ganzen Morgen immer tut und wir beide staunen nicht schlecht als wir in ein Übungsmanöver der Soldaten geraten. Rauch steigt aus Ölfässern. Soldaten mit Maschinengewehren und künstlichen Fleischwunden schauen uns so verdutzt an wie wir sie. Ein Mann mit Kunstblut verschmierten Gesicht kann ein wenig Deutsch und erklärt uns den Weg. Was für eine absurde Situation.  Gestern saß ich um diese Uhrzeit in der Vorlesung und jetzt finde ich mich neben Klaus in Dänischen Krieg wieder.

Wie finden die Kaserne dann doch noch und hier wird uns sogar beim ausladen geholfen. Tische für die Soldaten. NVA-Stories von Klaus. Check.

Sechste Geschichte:
Die Nächste Ladung von 140 Stühlen und 70 Tischen geht an eine Schule. Eine Schule in der die Schüler es besonders gut beherrschen im Weg zu stehen und ein wenig „ in deuds gut sin“.

Klaus bemerkt mit seinem originalen Ostslang dass die Putzfrau „ ior jesischt sur Faust jeballd“ hat und er mit seiner Lebenserfahrung genau sehe, dass das ein schlimmes Weib sein muss. Dazu kann ich nichts sagen. Womöglich hat er Recht.

Nach drei Stunden ist der LKW samt Anhänger leer und ich fertig. Nur rumsitzten wär ja auch langweilig gewesen.

Nach einem lagen Weg inklusive unzähliger Zigaretten und einem Sonnenuntergang auf der Fähre bin ich nach knapp 20 Stunden wieder zu hause. Was für eine voller Tag. Morgen schreib ich erst einmal eine schöne Rechnung und das ist ja auch eine schöne siebte Geschichte.

2 Gedanken zu „Kunstblut und schlimme Weiber

  1. Au Mann, wegen solcher Gestalten mag ich nicht gern abends Bus fahren in Berlin. Eigentlich hast du Glück, dass du ihn trotz Generve so lang hinhalten konntest.
    Was die Möbelei angeht: Kann das sein, dass irgendwie alle Menschen jetzt nur noch ihre möbel bestellen, statt sich durch die Möbelhäuser zu schlagen? Mein Freund arbeitet auch in einem einschlägigen Online Möbelhaus (http://www.home24.de/wiesbaden-stehleuchte-chrom-1) und meint, das sei das Business der Zukunft. Ein Bischen würde ich da aber glaub ich schon die Haptik vemissen.

    1. Es waren ja keine Privatleute die sich irgend irgendwelche Lampen haben kommen lassen sondern Institutionen die reine Nutzmöbel in großer Menge bestellt haben. Tische und Stühle die einfach nur zweckmäßig und stabil, weniger schön sind. Ich glaub das ist auch schon länger usus.

      Grundsätzlich hast du recht. Das ganze Einkaufen findet immer mehr onlie Statt. Mode, Musik, Bücher, Elektrogeräte und Reisen. Muss man das Haus nicht umbedingt verlassen. Nur mit Lebensmitteln ist es noch nicht so leicht.

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