Ich habe einen Mitbewohner. Walid

 

Wenn sich manche Leute fragen, ob sie denn einen Flüchtling bei sich aufnehmen wollen würden und dann dabei festestellen, dass sie das doch zu krass fänden, so kann ich von mir behaubten, selbst von einem Flüchtling aufgenommen worden zu sein. Ich wohne mit einem, wenn man so will “Wirtschaftsflüchtling” zusammen. Also einem Menschen, den die wirtschaftliche Lange in seinem Heimatland zum Umzug in ein Land mit besseren Möglichkeiten, bewegt hat. Ein bemerkenswerter Mensch mit einer bemerkenswerten Geschichte. So bemerkenswert, dass ich hier etwas darüber erzählen möchte.

Mein Mitbewohner heißt Walid (Name geändert). Walid kommt aus Tunesien, das liegt im Norden Afrikas. Er ist Ende 40 und Müllfahrer, was bedeutet: Walid arbeitet viel und hart. Walid macht einen Job, den wohl die wenigsten als ihren Traumjob angeben würden.

Walid macht diesen Job, weil er Geld bringt und Geld braucht Walid. Er hat eine Familie in Tunesien zu versorgen. Hier zeichnet sich bereits eine gewisse Tragik ab. Eine Tragik, die Walids Leben flankiert, vielleicht auch durchzieht. Zumindest in meiner Wahrnehmung. Walid lebt, die meiste Zeit im Jahr, von seiner Familie getrennt. Während er in Deutschland den Müll von Anderen entsorgt, lebt seine Frau und seine drei Kinder in der alten Heimat. Eine Vorstellung, die für mich nur schwer zu erfassen ist, für Walid aber den normalen Alltag bestimmt.

Walid legt einmal im Jahr seinen gesamten Jahresurlaub mit sämtlichen Überstunden zusammen, um etwas mehr als zwei Monate zu seinen Liebsten zu fahren. Darauf freut er sich dann schon viele Wochen zuvor. Wenn Walid nach Tunesien fährt, macht er das mit seinem alten VW-Bus. Den stopft er dann von oben bis unten voll, mit Dingen die die Münchner Haushalte als überflüssig erachtet haben. Ich würde diese Sachen als Sperrmüll bezeichnen, aber das will ich nicht, denn für Walid sind diese Dinge wertvolle Güter, die in Tunesien niemals auf den Müll geworfen werden würden.

Das ist Walid. Walid ist der Mann, der unseren Abfall, unseren Überfluss, nocheinmal hernimmt. Von allen Möbeln in unserer Wohnung, stammt kein einziges aus dem Möbelhaus. Zumindest nicht direkt. Alles hier ist quasi aufgesammelt, mitgenommen oder abgeholt. Von der Waschmaschine und dem Staubsauger, bis hin zum Küchentisch und der zusammengewürfelten Küche. Was Andere nicht mehr wollen, ist für Walid noch gut zu gebrauchen. Absurd, ich weiß.

Ich wohne bei Walid, weil ihm die Wohnung, mit den zwei Zimmern, alleine zu groß ist. Seine Frau ist mit den Kindern schließlich wieder in die Heimat zurückgeflüchtet. Nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Vielmehr aus Unbehagen. Vielleicht auch aus Angst. Angst vor den Geschichten, die man über die Deutschen hört. Dass es Deutsche gibt, die Nichtdeutsche grundlos verprügeln und weil es als kopftuchtragende Frau einfach nicht so easy ist sich zu integrieren. Jetzt lebe ich in dem Zimmer, das früher einmal das Kinderzimmer war, das glaube ich zumindest.

Bei der Miete, die ich für dieses Zimmer abtrete, bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher, dass ich mit dieser nicht nur die Kosten, für den überflüssigen Raum ausgleiche. Sonderlich stören kann ich mich daran allerdings nicht. Walid braucht einfach das verdammte Geld. Nicht weil er geizig ist. Auch nicht weil er sich durch die paar Kröten mehr im Monat, etwas mehr Luxus leisten will. Walid geht niemals auswärts Essen. Als Moslem raucht und trinkt er nicht. Auch auf den Kaffee vom Bäcker unterwegs verzichtet er. Walid ist sparsam. Das merkt man auch, wenn man in unserer Wohnung steht. Hier gibt es keinen überflüssigen Schnickschnack. Fast schon kryptisch ist die Wohnung eingerichtet, mit Möbeln die Walid von der Müllpresse gerettet hat.

Walid ist ein Arbeitstier. Jeden Tag verlässt er um halb fünf die Wohnung um 12 Stunden später wieder nach Hause zu kommen. Für mich als in Teilzeit angestellter Berufsanfänger ist das nur schwer zu begreifen. Doch als würde die schwere Arbeit als Müllfahrer nicht reichen, spielt Walid ernsthaft mit dem Gedanken einen Taxischein zu machen, um am Wochenende noch als Taxifahrer zu arbeiten. Ein Leben voller Arbeit. Die letzten beiden freien Samstage hat Walid damit verbracht, Fenster aus einem, vor dem Abriss stehenden, Haus auszubauen. Fenster, die sonst vor die Abrissbirne gekommen wären. Walid baut diese Fenster allerdings, unter Einsatz seiner freien Tage und mit großer körperlicher Anstrengung, aus um diese in seinem VW-Bus mit nach Tunesien zu fahren.

Das Geld, die ausgebauten Fenster und all die, vor der Müllpresse geretteten, Dinge aus dem Keller braucht Walid für sein Zukunftprojekt. Walid hat vor, eines Tages, in seiner alten Heimat, ein Haus für sich und seine Familie zu bauen. Deshalb nimmt Walid all das in Kauf: Das Leben in Sparsamkeit, die viele Arbeit, das dauerhafte Getrenntsein von der Familie und ganz im Allgemeinen, das Warten auf bessere Zeiten. Denn auch wenn Walid ein aufgeweckter, lebhafter Mann ist, so umgibt ihn immer ein leichter Nebel aus Traurigkeit und Melancholie.

Für mich ist Walids Lebensentwurf oftmals sehr wenig nachvollziehbar. Das liegt wohl daran, dass wir beide unterschiedlicher nicht sein können. Ich selbst bin ein junger Sozialpädagoge Ende zwanzig, der an den christlichen Gott glaubt, sich gerne mit Menschen umgibt und der seine Freizeit vielfältig nutzt und genießt. Walid ist ein asketischer Moslem Ende Vierzig, der seine Freizeit gar nicht verbringt. weil er sich quasi keine gönnt. Darauf ist Walid im Übrigen sehr stolz. In Deutschland zu arbeiten und zwar viel zu arbeiten ist seine Visitenkarte, fast schon seine Identität. Ganz und gar der Versorger seiner Familie zu sein und sich dabei selbst aufzugeben, dafür hat sich Walid vor einiger Zeit entschieden. Eine Entscheidung, die er sicher manchmal bedauert. Zum Beispiel dann, wenn ich ihm von meinem Wochenenden oder Urlaubsplänen berichte.

Ach, ich könnte noch so vieles Schreiben über meinen Mitbewohner Walid. Darüber wie sehr er die Deutschen bewundert und die deutsche Sprache liebt. Wie er mich für meine scheinbar positive Lebenseinstellung lobt aber nicht nachvollziehen kann, warum ich scheinbar optimistischer bin als er. Oder von den skurrilen Situationen, zu denen es kommt, wenn seine Frau gerade zu Besuch in Deutschland ist und ich gerade in die Küche gehen möchte aber das nicht geht, weil Walids Frau “nichts an hat”. Sie war natürlich nicht nackt, sie trug eben nur gerade kein Kopftuch. Wie er in unserem Wohnhaus jeden grüßt und von jedem gerne begrüßt wird. Von diesem scheinbaren Wiederspruch mit allen gut zurecht zukommen, sich langen Plaudereien im Treppenhaus hinzugeben und andererseits niemanden auf die Nerven gehen zu wollen und sich zurück zu ziehen, in das eigene Schneckenhaus von Wohnung, um dort von einer besseren Zukunft zu träumen.

Ach Walid. Ich wünsche dir alles Gute.

 

P.S.:Kauft doch mein neues Buch, wenn Ihr Lust habt. Hier zum Beispiel. Ich würd mcih freuen.

 

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