Velo La France – Ein Reisebericht – Teil 4

Fortsetzung von Teil 1, Teil 2 und  Teil 3

Tag 3 – Hitze, Pizza und ein Sieg

Um 6:30 Uhr ist es hell. Das ist jedoch nicht der Grund warum ich aufwache. Ich wache auf weil ALDI neue Ware bekommt. Ich liege neben der Laderampe hinter dem Supermarkt und werde Ohrenzeuge vieler Geräusche. Der Anlieferer mit dem großen LKW, die Hebebühne, rollende Wagen mit neuer Ware und leeren Kisten,  und ein Telefonat über das Headset des LKW-fahrers, der mich zwar freundlich begrüßt, aber nicht weiter Notiz von mir nimmt. Dachte ich mir schon, dass es niemanden juckt, wenn ich mich hier hinlege.

Jedenfalls bin ich jetzt wach. Bis der Fahrradladen aufmacht habe ich noch zweieinhalb Stunden Zeit. Das ist einerseits gut, denn so habe ich gezwungenermaßen Zeit um mich mal ausführlich um meine Ausrüstung zu kümmern. Vieles was ich mit mir rumschleppe brauche ich nicht. Diverse Tüten und  Verpackungen haben sich angesammelt. Außerdem weiß ich genau, dass ich meine Plastik Flip Flops in dieser Woche nicht mehr brauchen  werde. Diese haben mich bisher immer nur genervt und waren im weg. Genau so geht es mir mit meinem Buch, dass ich mir für den Abend zum Lesen eingepackt hatte. Ich muss selbst schmunzeln.  An den letzten beiden Abenden hat es mir auf keinen Fall an Unterhaltung gefehlt. All der überschüssige Ballast, all die geplatzten Ersatzschläuche kommen in den Mülleimer. Die weitere Zeit nutze ich um meine Taschen besser zu packen. das Werkzeug, die Luftpumpe und das Flickzeug müssen besser erreichbar sein, genau wie der Akkupack für die Elektrogeräte. Meine Warnweste hingegen brauche ich nur einmal am Tag, nämlich bei aufkommender Dunkelheit. Ich optimiere also meine Ausrüstung und werfe Ballast ab. Außerdem frühstücke ich ausgiebig von dem Baguette, dem Käse und der Salami. Nimmt in der Tasche nur Platz weg und ist in meinem Bauch besser aufgehoben.  All das dauert lange nicht genug um zweieinhalb stunden zu überbrücken.

Ich mache mich als  schon mal auf den weg zum Fahrradladen. Leider finde ich auf dem Weg dorthin keinen Kaffee. Ich und mein Morgenkaffee, wir kommen irgendwie nicht zusammen. Was ich finde ist ein kleiner Supermarkt der schon offen hat, in dem ich mir einen großen Orangensaft kaufe, der nicht lange halten wird.

Irgendwann macht endlich auch der Radladen auf und ich kaufe meine Ersatzschläuche und Ersatzmantel. Zur Sicherheit mache ich gleich alles neu. Drei Ersatzschläuche zusätzlich bekomme ich auch noch unter.

Mit neuem Reifen und juckenden Beinen komme ich endlich wieder los. Es ist zehn Uhr als ich Sainte-Menehould wieder verlasse. Allerdings komme ich nicht weit, denn nach 5 Minuten auf dem Rad habe ich schon wieder einen Platten. Ich bin plattenverflucht. Fluchend und vor Hitze schwitzend kehre ich zum Radladen zurück. Der eigentlich neue Schlauch wird durch einen ganz neuen ausgetauscht. Auch der Ladenbesitzer kann nur den Kopf schütteln.

 

Ich hab zwar neue Schläuche allerdings bin ich schon wieder schwerst genervt von allem bevor ich überhaupt Kilometer hinter mich gebracht habe. Vermutlich auch genau deshalb. Ich kehre in einem Restaurant ein. Das hat zwar noch nicht geöffnet, die Wirtin und ihre beiden Töchter sind gerade noch am sauber machen, als ich eintrete, doch ich werde dennoch bewirtet. Kaffee. Endlich Kaffee. Obwohl die Küche noch geschlossen hat darf  ich ein Sandwich bestellen. Die Wartezeit von 40 Minuten (!) nutze ich um mein Navi aufzuladen, welches eigentlich immer aufgeladen werden muss, und um Nachrichten an die Heimat zu schreiben. Die Wirtin stellt mir ungefragt eine große Flasche Wasser hin. Sie scheint meine Gedanken lesen zu können. Auch wenn wir uns sprachlich nicht verstehen, verstehen wir uns blendend.

Als das riesige Sandwich samt Pommes Frites, Frikadellen und Salat endlich kommt ist meine schlechte Laune schnell verflogen. Alles ist besser mit fettigen Essen und Kaffee im Bauch. Da stört es mich auch nicht mehr, dass ich durch meine Pannen fast einen halben Tag verloren habe.

Anhand meiner Gedanken wird klar worum es mir bei meiner Reise geht. Es geht darum Strecke zu machen. Viel Strecke in wenig Zeit. Mit einem gefüllten Magen fällt es mir leichter anzuerkennen, dass genau dieser Plan auch trotz Verzögerung bestens aufgeht. Auch der Blick auf die Karte und das Überschalgen von Zeit und zurückgelegter Strecke im Kopf lassen mich schon jetzt stolz werden.

“Beruhige dich Jo, du bist sehr gut in der Zeit. Möglicherweise schaffst du es heute oder spätestens morgen Mittag nach Dieuze was ungefähr auf der Hälfte der Strecke liegt. Mehr kannst du nicht von dir verlangen.”

Der weitere Verlauf des Tages verläuft besser als der gestrige aufgehört hat. Auch wenn ich nicht den letzten Platten geflickt haben werde, ich komme weiter und weiter voran. Ich stoße schnell wieder auf meine Ursprüngliche Route, lasse die Piccardie allmählich zurück und erreiche die Champagne. Die Veränderung der Vegetation ist eine willkommene Abwechslung für mich. Die Kuhweiden, die Bäume, die Bäche. das gefällt mir alles sehr gut im vorbeifahren.

Auch hat die längere Zwangspause meinen Beinen spürbar gut getan. Meine Laune könnte gar nicht besser sein. Weiter und weiter. So hab ich mir das Vorgestellt. Glück und Unglück wechseln sich stündlich ab beim Radfahren, das macht wohl den Reiz aus.

Ich überwinde also die Straßen Frankreichs, Hügel für Hügel und bleibe dabei konsequent beim der Beachtung des Bodenbelages. Sobald mein Navi mich runter vom Asphalt leiten will, mache ich einen Umweg und fahre lieber drei Kilometer weiter, dafür aber auf der glatten Landstraße.

Von einem weiteren Glück, all derer die Richtung Osten radeln, werde ich an meinem dritten Reisetag Zeuge: Rückenwind. Mit Rückenwind eine lange Strecke bergab fahren ist eines der schönsten Dinge, die einem passieren kann. Da macht es auch nichts, dass mir die Sonne weiter fleißig auf dem nackten Rücken ballert. Man kommt fast von alleine voran. Ober habe ich mittlerweile jedes Gefühl für Anstrengung verloren beziehungsweise verdrängt? Ich bin mittlerweile nicht mehr sicher, auf was ich mich bei meinem Körper noch verlassen kann. Normal und abnormal verschwimmen langsam.

 

An einem Supermarkt decke ich mich wieder ein. Verputze einen eingeschweißten Kartoffelsalat und fertig belegte Sandwiches. Trinke zwei Liter Wasser in 10 Minuten und genieße die Kühle des Schattens. Weiter creme ich meinen verbrannten Rücken, meine Arme, meine Nase, eigentlich alles ein, was mit Sonne in Berührung gekommen ist. Das bedeutet: alles außer der Bereich zwischen Oberschenkel und Hüfte.  Ich habe das Gefühl so viel Sonne wie ich abbekomme, so viel kann ich gar nicht eincremen um das Unaufhaltsame zu verhindern. Ich werde geschmort. Verbrannt, bei lebendigem Leib.

Vermehrt fallen mir die Kriegsdenkmäler und Soldatenfriedhöfe auf, an denen ich vorbeifahre. Erschreckend wie nah man plötzlich dran ist an den Schauplätzen der Panzerschlachten und Grabenkämpfen des 2 Weltkrieges. Verdun ist nicht weit. In Deutschland habe ich so etwas noch nicht gesehen. Nicht in dieser Häufigkeit. Hier wird mit der Vergangenheit anders umgegangen. Stelle ich eben so fest.

Mein Körper funktioniert und mein Verstand auch und darum fahre ich weiter und weiter. Ich finde es schön. Alles . Auch, dass ich der Hälfte der Gesamtstrecke immer näher komme. Ein gutes Gefühl.

Pause mache ich wenig, vermutlich zu wenig. Allerdings ist Stehenbleiben immer auch anstrengend, weil der kühlende Fahrtwind ausbleibt. Ich muss bei meinen Pausen feststellen, dass das Material mittlerweile mehr und mehr leidet. Abrieb und Verschleiß an Bremsen und Taschen sind in erschreckendem Ausmaß zu beobachten. Nicht nur den Beinen sondern auch  der Technik wird einiges abverlangt. Das macht sich bemerkbar.

Als es langsam dämmert. Kehre ich ein . Auch wenn ich mir vorgenommen habe eine warme Mahlzeit am Tag zu mir zu nehmen, und ich ein ungefähres Tagesbudget eingeplant hatte.

Eine Pizzeria lacht mich an. Hier gibt es Pizza und Cola, Wasser und Bier außerdem Eis. Natürlich auch Steckdosen. An Strom und Wasser mangelt es eigentlich immer und darum bleibe ich so lange bis der  Pizzamann um 22:30 Uhr schließen will. Zum Abschied schenkt er mir seine fast volle Wasserflasche. Nicer Dude.

 

Ich beschließe noch ein bisschen weiter in die Nacht zu fahren. Mein Licht ist aufgeladen und ich selbst dank Pizzapause auch. Bis zum Ort Dieuze  sind es noch etwa 30 Kilometer, Die Hälfte der Gesamtstrecke und das sollte ich heute noch schaffen. Das muss ich nicht doch das will ich. Wenn dem so wäre, hätte ich nach drei Tagen die Hälfte der Strecke geschafft. So treibt mich mein Ehrgeiz durch die Nacht.
Ich erreiche Dieuze  mit müden Beinen und auch mein Kopf ist müde. Alles an mir ist müde. Die kurzen Nächte der letzten Tage machen sich bemerkbar. Gleichzeitig bin ich mächtig stolz als ich Dieuze durchfahre. Ich habe alles und noch viel mehr erreicht als ich mir für heute vorgenommen hatte.

Im Suchen von Schlafplätzen habe ich fast schon Routine. Mir ist es lieber eine Lichtquelle in der Nähe zu haben und wenn man es vermeidet auf einem Grundstück von Privatleuten zu schlafen, kann man eigentlich niemanden wirklich ans Bein pinkeln. Ich finde meinen Schlafplatz an einer Hecke bei einem Schießstand des örtlichen Schützenvereins. Hier wird morgen Früh wohl keiner einer nach dem Rechten sehen. Bis hier wieder geschossen wird bin ich längst weg.

Abendritual: Zähne putzen, mit feuchten Tüchern das Gesicht säubern, raus aus den Radklamotten, rein in den Schlafsack. Einschlafen nach wenigen Minuten. Über mir der Sternenhimmel, neben mir mein treues Rad. Den Frust von heute Vormittag habe ich vergessen. Heute war ein guter Tag.

Tageskilometer: 176 km – Kilometer bisher insgesamt: 594 km

Fortsetzung Teil 5 hier

 

Tag 3 auf Strava: www.strava.com

 

Für den Film, der während meiner Reise entstanden ist gibt es hier schon einen kleinen Teaser:

 

 

4 Gedanken zu „Velo La France – Ein Reisebericht – Teil 4

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