Dezembererkenntnis – Teil I : Es ist keine gute Idee eine längere Fahrradtour im Winter zu planen.

Mein Vorhaben war sehr groß. Ich wollte doch so weit fahren und so viel draußen sein, wie ich es mir in meinem naiven Kopf vorstellen konnte. Die Idee zur Dezembertour habe ich hier mal ausgebreitet. Pläne machen ist schön. Doch Pläne sind zum umschmeißen da.

Um es kurz zu machen: Ich bin tatsächlich los gefahren. Am 2. Dezember. Allerdings sehr viel weniger weit als unsprünglich erhofft und geplant. Ein schönes Abenteuer war es trotzdem. Nicht alles was zunächst nach Scheitern aussieht muss auch ein Reinfall sein. Lest selbst.

Tag 1 : Eingefrohren

Aus der Erkenntnis heraus, dass die Sonne im Dezember sehr viel weniger lang und dabei auch weniger intensiv auf die Erde brennt, beginnt mein erster Tag nicht auf dem Rad sondern in der Bahn. Ich möchte aus den ursprünglich geplanten 200 km etwa 130 km machen. Das erscheint mir sehr viel realistischer und vernünftiger. Besonders beim Blick auf den Wetterbericht. Von den vor drei Wochen prognostizierten milden Temperaturen ist nichts mehr zu sehen. Zu spüren auch nicht.

Ich fahre bis nach Ingolstadt. Vom Regionalexpress in die Kälte. Durch die Fenster beobachte ich wie die Sonne schüchtern den Himmel aushellt. Sieht kalt aus da draußen. Ich fahre zügig los. Kraft in den Beinen und frische Luft um die Rübe.

Nach zwanzig Minuten bin ich für gewöhnlich warm gefahren. Heute stelle ich feste, dass meine extra angeschaffte lange Radhose nichts taugt und der Weg vor mir nur sehr langsam schrumpft. Man ist das kalt! Nach einer Stunde mache ich Rast in einem Vorraum einer Bank. Die Heizung hier läuft auf Hochtouren. Das finde ich gut. Alles ausziehen und die Feuchtigkeit verdampfen lassen. Das was ich brauche um die Schamgrenze gegenüber der Bankkunden nicht zu überschreiten bleibt am Mann und wird von meinem Körper an die wohltuenden Heizstäbe gehalten. Das Thermometer meines Radcomputers steigt von minus 4 Grad auf 20 Grad. Das wäre eher meine gewohnte Radfahrtemperatur.

Nach einer Weile scheint alles wieder gut. Hier im Vorraum der Bank herrscht prächtige Stimmung – bei mir.  Bis es wieder raus geht an die kalte Luft. Es dauert nicht lange bis mich die Kälte erneut durchzogen hat. Ich ziehe mir alles an was ich dabei habe. Regenüberschuhe, die wasserdichten Neoprensocken, die lange Regenhose und  die Regenjacke gegen den Wind. Die Maßnahme hilft. Zumindest so lange bis mein Weg mich ins Altmühltal führt. Ein Tal liegt gewönlich tiefer als die umliegende Landschaft. Nach einer Abfahrt die keine 5 Minuten dauert, bin ich durch und durch steif vor Kälte. Was für eine schwachsinnege Idee ist es eigenlich, bei solchen Bedingungen auf das Rad zu steigen? Ich versuche die Kälte rauszustampeln. Ich stecke einen Riegel in den Mund und schmeiße den Verbrennungsmotor an. Das hilft.

Mein Weg führt mich an einem Kanal entlang und durch die fränkische Idylle. Ich ziehe an den Schneeresten vorbei und fühle mich abenteuerlich und allgemein ziemlich eisenhart. Zumindest bis ich an einer Bäckerrei vorbeikomme. Da werde ich plötzlich sehr schwach. Ich muss mich wieder auftauen. Auch wenn ich seit meiner EC-Pause erst eine Stunde unterwegs bin. Schwarzer Kaffe, ein Krapfen und eine Fußmassage. Blick auf die Karte. Der nächste Bahnhof auf dem Weg liegt 30 km weiter.  Ich beschließe, dass ich dorthin ja mal fahren kann, um dann mal vor Ort nachzufühlen wie das allgemeine Befinden ist. Schon klar. Insgeheim hab ich die Abkürzung durch den Nahferker schon fest beschlossen. Zugeben will ich das vor mir nur noch nicht.

Es kommt so wie insgeheim gedacht. Ich erreiche Neumarkt in der Oberpfalz und habe genug für heute. Von hier geht es in die S-Bahn und mit dieser nach Erlangen. Dort wohnt mein Bruder Andi.  Für heute ist Schluss. Es ist 14:30 Uhr und warum ich heute so früh aufgestanden bin verstehe ich jetzt ganz und gar nicht mehr. Von meinen geplanten 130 km (Ur-ursprünglich ja 200 km) habe ich keine 70 km mit dem Rad zurückgelegt. Doch was soll ich machen? Bei 5 Grad weniger als beführchtet, 10 Grad weniger als erhofft und 15 Grad weniger als in letzter Zeit gewohnt war mein Körper nicht in der Lage die notwendige Kraft auf die Pedale zu bringen.

Ein wenig ärgere ich mich. Aber auch nicht wirklich. Sportlich gesehen habe ich heute vielleicht nichts gerissen. Das macht aber nichts. Ich habe immerhin Urlaub und bin mit meinem Rad unterwegs. Darum habe ich doch das Haus verlassen. Mein Horizont hat sich ein wenig mehr erweitert und meine Leidensfähigkeit womöglich auch. Manche Langstreckenradler sprechen immer vom “mentalen” Training. Fand ich immer seltsam diese Formulierung. Jetzt verstehe ich sie ein bisschen besser.

In Erlangen gibt es Gühwein, Sauerkraut, Bratwurst und Schupfnudeln. Außerdem warmes Wasser aus dem Duschkopf, eine trockene warme Hose und eine kurze physiotherapeutische Behandlung durch meinen Bruder. Es ist immer gut einen angehenden Physiotherapeuten in seiner Familie zu haben. Ich wollte eine Abwechslung zu meinem Alltag. Bitte sehr.

“Ihr Wecker klingelt in 11 Stunden” lese ich auf meinen Handy kurz bevor ich in ein tiefes Koma falle. Auf dem Rad erfrohren. Mit warmen Gedanken und Füßen eingeschlafen.

Tag 2 – Eingeschneit: 

Ich habe tatsächlich fast 10 Stunden geschlafen und fühle mich dennoch (Achtung Wortwitz!) gerädert. Die Motivation heute wieder aufs Rad zu steigen hält sich optimischtisch gesagt: in Grenzen. Ursprünglich waren für heute 160 km (bis kurz vor Fulda) geplant. Doch ich habe aus dem gestrigen Tag gelernt und schraube meine Ansprüche erneut herrunter. Aus den 160 km mache ich 90 km. 20 km mehr als gestern. Das scheint mir ein realistisches Vorhaben zu sein. Wenn ich konsequent und regelmäßig Pausen mache und nicht immmer so lange fahre bis ich komplett durchgefrohren bin sollte alles glatt gehen. Vor allem da statt minus 5 Grad nur minus 1 angekündigt sind. Das macht auf dem Rad wirklich viel aus.

Also geht es wieder in die Bahn. Zeil am  Main ist mein Startpunkt. Ein Schaffner der offensichtlich überhaubt keine Lust hat zu arbeiten fragt kurz vor meinem Ausstieg lustlos nach meiner Fahrkarte. Als ich ihn um einen Moment bitte und (wahrheitsgemäß) angebe, dass ich diese schon weg gepackt habe, winkt er nur ab als hätte ich ihn beleidigt und schlüft weiter. Bock hat der auch nicht .

In Zeil am Main kurbel ich los. Es läuft viel besser als gestern. Oberfranken an einem Sonntag morgen. Die Orte sind leer die Staßen sind frei. Radfahren folgt einem sehr einfachem Prinzip: In dem Moment, wenn ein Pedal ganz oben is, muss man es mit dem Fuß nach unten drücken. Diesen Vorgang wiederholt man so lange bis man irgendein Ziel erreicht.

Ein Zwischenziel erreiche ich nach einer Stunde in der Kälte. In einem Ort mit dem Namen Wettringen steht die Türe zu einem Hof eines Gasthauses offen. In der Stube brennt ein Kamin. Es gibt Kaffee. Das trifft sich sehr gut, den gerade beginnt es leicht zu schneien.

Ich bin erst etwa zwei Stunden unterwegs und beginne mein Vorhaben schon wieder zu überdenken. Was soll der Quatsch? Wo bleibt eigendlich der Spaß bei dieser Reise? Irgendwie bleibt dieser gerade aus. Andererseits weiß ich, dass man ausgekühlt niemals die richtigen Entscheidungen trifft und beschließe daher weiter zu fahren. Die Straßen sollten durch das Streusalz der Vortage noch frei bleiben und ein wenig Nässe hat noch den wenigsten geschadet. Wie lautete nochmal mein Mantra in Frankreich? “Das hier ist eine Radreise und kein Kindergeburtstag.”

Mein Optimismus schrupft zusammen, wie Hoden im Eisbad, als ich wieder auf die Straße trete. Der Schneefall wird stärker und nach und nach bedecken die dicken Flocken alles. Die Häuser, die Straßen, meine Brille, mein Rad und meinen Oberkörper. Das ist spannend, winterlich romantisch aber auch auch nervig. Alles dauert lange. Zu lange. Die Temperatur fällt wieder auf die gestrigen minus 5 Grad und schlagartig finde ich mich im Schneegestöber wieder. So wird das doch nichts. Ich habe noch nicht mal ein Drittel meiner ohnehin schon reduzierten Strecke hinter mir und komme nicht vorran. Außerdem liegt die Röhn noch vor mir und da diese 600 Meter höher liegt wird dort vermutlich kein milder Sonnenschein herrschen.

Ich quäle mich weiter bis ich in Stadtlauringen endlich eine Spaarkasse mit beheizen Vorraum finde. Ich muss realistisch bleiben. Bei diesem Wetter macht die Aktion keinen Spaß und auch keinen Sinn. Ich brauche einen Plan B. Das mobile Internet ist dieserorts nicht brauchbar, darum wähle ich im Menü meines Navis den nächstgelegenen Bahnhof an. Schweinfurt ist 22 km entfernt, liegt  in einer föllig anderen Richtung, aber das ist mir egal. Haubsache Anschluss an den Fernferkehr. Wie es weiter geht kann ich später entscheiden. Hier im verschneiten Nichts werd ich nur zum Schneemann.

Ich wühle mein Rad durch den Schneematsch. Der hochspritzende Schnee schmiert meine Bremsen und Schaltung mit einem klebrig eisigen Brei ein. Aus der Nase läuft Rotz der sofort in meinen Barthaaren gefriert. Meine Lunge schmerzt von der kalten Luft. Das Wasser in meinen Trinkflsche ist gefrohren. Meine Füße sind trotz dreifacher Packung und Regenschutz taub vor Kälte. Das ist alles extrem beschissen. Wo bin ich hier nur wieder rein geraten?

Ein Auto wird vom ADAC aus dem Graben gezogen. Ein weiteres möchte an einer Ausfahrt bremsen um abzubiegen, schlittert aber nur auf der Straße weiter und kommt 15 Meter weiter zum Stehen. Die Vorstellung, dass das dem Autofarer passiert, der für mich bremsen möchte beunruhigt mich. Die Etscheidung, die Tour für heute abzubrechen, scheint mir auf jeden Fall die richtige.

Allerdings muss ich erstmal zum Bahnhof in Schweinfurt kommen. Mein Abbruch soll sich noch eine Weile hinziehen. Für die 20 km nach Schweinfurt benötige ich über zwei Stunden Zeit und eine Menge Nerven. Das ist wirkich nicht schnell. Meine Bremsen versagen auf dem glatten Asphalt nach und nach. Teilweise muss ich den Fuß zur Hilfe nehmen um nicht weiter zu rutschen. Ich bewege mich im Schneckentempo.

Die Bremshebel sind kalt und ziehen mir die restliche Wärme aus den Fingern. Mit jeder Minute schrumpft meine Laune. Auch das Gefühl hier etwas richtig hartes zu  machen, ein knallharter Typ zu sein, weicht mehr und mehr einer Wut. Wut auf die Welt und mich selbst. Wem willst du hier eigenlich etwas beweisen? Egal du scheiterst dabei gerade kläglich. Wie gesagt. “mentales” Training. Mentales Training am Arsch.

Endlich in Schweinfurt angekommen und endlich den Bahnhof ausgemacht ist es 14 Uhr. Ich bin heute 54 km gefahren und habe dafür 5 Stunden gebraucht. Das frustet. In der Bahnhofshalle wärme ich mich auf. Ein Bier und ein Hotdog für einen Euro helfen bei der Besserung meiner Laune. Sie helfen sogar hervorragend. “Das gleiche nochmal bitte.”

Auf der Bank an der Heizung sitzend studiere ich die Fahrpläne und Preise meiner Optionen. Neben mir zaubert mein Rad eine große braune Pfütze auf den Boden. Ich beschließe mein Tagesziel, einen Ort kurz vor Fulda, zu überspringen und direkt nach Göttingen zu fahren. Dort wollte ich eigendlich erst morgen Abend ankommen. Aber das Wort eigendlich spielt gerade eine untergeordnete Rolle. Die Zugverbindung zu meinem Ursprünglichen Ziel wäre unverhältnismäßig lang und teuer. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich den ganzen Bums hier nicht ganz sein lassen soll. Erstmal zu Tobi. Bei Tobi ist es gut. Auch wenn der Zug erst in 2 Stunden fährt und 2 Stunden brauchen wird.

In Göttingen erlebe ich eine Wiedergeburt durch eine Dusche. Mit Freunden zu sprechen die man schätzt hilft ebenfalls bei mießer Laune. Resultat von all dem, ist ein tiefer Schlaf. Wie es weitergeht muss ich heute nicht mehr entscheiden. Ausgeschlafen tifft man immer noch die besseren Entscheidungen.

Ausblick: Warum es zwar eine schlechte  Idee ist eine Radtour im Dezember zu planen, es sich aber trotzdem lohnen kann, werde ich im zweiten Teil verraten. Diesen findest du HIER.

Ein Video zur Tour wird es dort auch geben. Hier schon mal ein Trailer. Bis dahin: Schönen Advent.

8 Gedanken zu „Dezembererkenntnis – Teil I : Es ist keine gute Idee eine längere Fahrradtour im Winter zu planen.

  1. Ein toller Bericht, ich habe ihn gerne gelesen! Mir gefällt, wie du mit den veränderten Bedingungen umgehst und deine Pläne anpasst. 🙂
    Der Link auf Teil II führt ins Leere, ich denke, du musst das nur die „13“ auf „16“ ändern, dann passt’s. 🙂
    Gute Fahrt weiterhin!

  2. Folgendes finde ich winterliche Touren mit Temperaturen <0° sehr hilfreich:

    Wärmepads für die Füße
    Barmitts (Neopren Stulpen über den STI's)
    Gute Windestopper Hose und Jacke
    Windstopper Helmmütze
    Buff Polar Schlauchtuch
    Wenn Schnee/ Eis vorausgesagt ist auf jeden Fall Spike Reifen wie z.B. Schwalbe Marathon Winter
    Ein Rad mit Scheibenbremsen wäre bei den Witterunsbedingungen wahrscheinlich auch besser gewesen

    Vielleicht hilft dir das Ja bei deiner nächsten Wintertour.

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