Mit dem Rad nach Prag – leichtes Gepäck und schwere Beine

Prag – die goldene Stadt. Schon seit einiger Zeit habe ich mir immer mal gesagt. “Jo, du könntest ja mal nach Prag radeln.” Von München aus sind das etwa 400 Kilometer und bei einem verlängerten Wochenende sollte das doch machbar sein. Alle die dort waren sagen Prag sei “sau geil”.
Wie das so ist mit Gedanken, die mit “Du könntest ja mal..” beginnen: Bis man tatsächlich losfährt können Monate, Jahre oder auch die Ewigkeit vergehen.
“Einfach machen”, lautet mein Mantra dieser Tage und so habe ich letztes Wochenende schnell die Kette geölt, den Schlafsack und die Isomatte verzurrt und das nötigste in den Packsack gestopft. Kein Zelt, kein Plan. Nur eine flink zusammengeklickte Route auf Komoot. Abenteuerzeit.
Laut meinem inneren Faulpelz ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig. In der Woche zuvor, war Andreas aus Hamburg zu Besuch gekommen und hatte sein Fahrrad dabei. Eine kleine Reunion des altbewährten Candy Squats und eine damit zusammenhängende ausgedehnte Feierabendtour sowie ein overnighter zum Walchensee, verlangte meinen Beinen knappe dreihundert Kilometer in drei Tagen ab. Das sind meine Beine derzeit doch eigentlich überhaupt nicht gewöhnt. Normalerweise reicht mir eine derartige Fahrradwoche, um mich für eine gewisse Zeit auf dem Rad zurück zu halten.
Hätte ich auf meine faulen Beine gehört, wäre ich zuhause geblieben. Hätte meine Füße hoch und einen Serienmarathon eingelegt. Doch ich schiebe stattdessen meine Faulheit beiseite, schalte meine Bedenken auf lautlos und fahre los. Zum Glück.
Sonntag. Mittags. Nach langen Ausschlafen, ganz so wie es sich für motivierte Langstreckenradler nicht gehört. Mir ist egal, was sich gehört. Mein Ziel ist es runter zu kommen und mich zu entspannen. Das kann ich am besten auf dem Rad und noch besser ausgeschlafen. Eine Auszeit vom Alltag funktioniert auch dann, wenn man nicht von frühmorgens bis spät in die Nacht fährt.
Ich komme gut voran. Zumindest sobald ich aus München raus komme. München besteht aus SUVs und roten Ampeln. Die Isar fließt entlang dem Radweg nach Freising. Ich lasse mich mit treiben. Die Sonne leuchtet mir auf den Weg und in die Aussicht und weil Gewitter angesagt sind ist nicht viel los auf den Radwegen.
Irgendwie langweilt mich die Landschaft. Noch mehr als sonst. Ich meine hier alles schon zu kennen. Stumpf trete ich weiter und weiter. Da hinten müsste es doch mal interessanter werden. Es wird interessanter: Es beginnt zu regnen. Nicht viel aber genug um meine Regenjacke aus meiner Tasche zu ziehen. Die habe ich heute zum Glück dabei. Nicht wie beim letzten 400er Brevet, den ich durchnässt und unterkühlt nach 300 km abgebrochen habe. (Kleiner Angeber Absatz, sorry.) Nie wieder werde ich meine Regenjacke vergessen!
Es rumort in meinem Magen und darum wird im überdachten Teil eines Biergartens eine geräucherte Makrele verputzt und ein Colaweizen hinterher gespült. Kaum ausgetrunken hat auch der Regen aufgehört. So viel Glück muss man erst mal haben. Geht doch.

Weiter durch die Oberpfälzer . Durch Hopfenhänge und kleine Orte. Vorgartenland. Deutschlandfahnenland. Franken scheint fest in der Hand der Armee der Gartenzwerge. Mein Garmin verlautet 100 km. Ich komme gut voran. An der Donau gibt es Cola. An einem Kiosk auf dessen Stühlen sich Bootsbesitzer darüber auslassen, wie ausgesprochen dumm ein gewisser nicht Anwesender seinen Bootsanhänger auf dem Parkplatz deponiert hat. Unerhört. Alle sind sich einig. Alle sind aufgebracht. 20 Minuten lang. Ach Deutschland: Manchmal verachte ich deine Bewohner.
Weiter kurbeln bis Regensburg. Ich rolle bewusst langsamer einen Umweg durch die Altstadt. Schön hier. Hier war ich noch nie. Die Sonne färbt die Dächer der Altstadt rot. Wirklich schön hier.
Ich trete weiter an einem kleinen Fluss entlang. Wie heißt der eigentlich? Keine Ahnung. Hinter einer Kurve schrecke ich Rehe auf. Sorry, ich wollte gar nicht stören. Eine Whatsappgruppe verkündet, dass Frankreich Fußball Weltmeister ist. Wollte ich gar nicht wissen. Mich stört es nicht.
Ich feier, mein gutes Vorankommen mit einer Pizza, die es direkt am Wegesrand gibt. Pizza geht irgendwie immer. Auch wenn diese gar nicht mal so gut schmeckt. Bier hinterher und rein in die langen Ärmel. Es ist Nacht geworden. Zeit meinem Vorderlicht hinterher zu fahren.
Mein Weg schlängelt sich sanft durch den Wald, den dunklen friedlichen Wald. Meine Gähnfrequenz erhöht sich. Meine Beine werden müde. Zeit zu schlafen. Hier eine eine überdachte Bank. Perfekt. Gerade als es wieder anfängt zu regnen. Isomatte – Katzenwäsche – Strinlampe – unbekannte Gruselgeräusche aus dem Wald ignorieren. Wecker auf 5 Uhr. Wer weiß wer hier morgen so vorbeikommt.


Um Fünf Uhr wird der Wecker auf 6 Uhr gestellt. Um 6 Uhr auf 7 Uhr. Was soll das Theater? Ich habe Urlaub. Hier gilt es weder ein Rennen zu gewinnen oder muss ich irgendwem oder irgendwas entkommen. Höchsten dem Alltag. Der ist weit entfernt und in dem habe ich genug Wecker.
Als ich losfahren will, stelle ich fest, dass ich keine Luft im Hinterreifen habe. “Wegen einer technischen Störung verzögert sich die Weiterfahrt um 20 Minuten.”
Eine kleine Dorfbäckerei verkauft ehrlichen Filterkaffee aus großen Thermoskannen. So stark, dass ich nicht sicher bin, ob ich diese Woche nochmal schlafen werde. Ist das schon Doping oder noch Genussmittel? Schwer zu sagen. Wasser darf ich auch auffüllen. Richtiges Frühstück gönne ich mir erst hinter dieser bedrohlichen Spitze auf dem Höhenprofil. Dank dem Koffeins in meinem Organismus kein wirkliches Hindernis.
Frühstück am Bergrücken. Es gibt Nüsse, dunkles Brot und Fisch aus der Dose. Dazu ein Panorama der gehobenen Güte. Nicht mehr weit und ich bin an der Grenze. Möglicherweise schon dort hinter dieser Hügelkette? Egal. Ich bin unterweg. Das gefällt mir
Berg runter – Berg hoch. Die nächsten Stunden bleiben überschaubar. Ein Hörbuch überbrückt die Langatmigkeit. Irgendwann die tschechische Grenze. Mulmiges Gefühl. Warum eigentlich . Vermutlich wegen der Vorurteile in meinem Kopf. Außerdem ist da ja noch diese Sprachbarriere. Abenteuer ist eben nicht nur ein hashtag denke ich mir und fahre durch meine Landschaft gewordenen Klischees. Vorbei Reklamen für “Nightclub-Orient – neue geöffnet”. Vorbei an umzäunten Barracken und bellenden Wachhunden.
Ich bin über der Grenze und in einer anderen Welt. Zwar sind hier die Hügel genauso steil und die Blätter genau so grün. Dennoch komme ich mir vor wie sehr sehr weit weg von zuhause. Die Luft ist anders. Die Straßen grober, irgendwie wirkt alles älter. Es riecht nach Osten.


Ich bin immer wieder froh, wenn ich alleine auf der Straße bin. Die Tschechischen Autofahrer heizen wie die Henker. Die sind keine Radfahrer gewöhnt. Diese sieht man nur sehr selten.
An einer Tankstelle leute ich meine Mittagszeit ein. Ich bin noch nicht tschechisch akklimatisiert genug, um einen der kleinen Supermärkte oder Gemüseläden zu betreten. In eine Tankstelle trau ich mich eher.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mir nicht darüber im Klaren war, dass Tschechien gar keinen Euro hat. Auf Nachfrage darf ich dennoch meinen Einkauf mit meinem 50 Euro Schein tätigen, bekomme allerdings Tschechische Kronen zurück. Von einer Kassiererin die übrigens flüssigstes Deutsch spricht. Ach so läuft das hier.
Ich suche mir einen Platz abseits der hektischen und lauten Bundesstraße und öffne mein Dosenbier auf einer Eisenbahnbrücke sitzend. Unter mir fährt gerade der ALEX aus München nach Prag durch. So weit bin ich also doch nicht weg von zu Hause.


Später erwischen mich ein paar Regentropfen, was mir ganz recht ist. Gerade bei schwülen 28 Grad. Vom Gewitter um mich herum bleibe ich verschont. Vor mit schlagen Blitze in die Hügel, hinter mir macht sich blauer Himmel breit. Ich habe wirklich Glück mit dem Wetter.
Gegen späten Nachmittag fahre ich in Pilsen ein. Eine prächtige wuselige Stadt mit vielen alten Gebäuden und dem gewissen charmanten Etwas , das große ehemals sowjetische Städte so an sich haben. Mein inneres Tagesziel ist erreicht. Bei einem Blick auf die Preise für eine Übernachtung fällt mir allerdings ein, dass es ja noch gar nicht so spät ist und ich auf eine Dusche und eine Brauereibesichtingung auch gerne verzichten kann. Außerdem sind mir hier eindeutig zu viele Menschen unterwegs. Ich fahre noch ein bisschen weiter.


Die Anstiege, ich ich mir eigentlich für morgen aufgehoben hatte sind lächerlich steil. Wie kann man nur so eine Straße bauen? Während ich Umdrehung für Umdrehung den Berg hinaufschleiche denke ich an die Tipps von Andreas aus Hamburg. Nur nicht verkrampfen, einfach locker weiterkurbeln. Sehr witzig. Wie soll das bitte gehen?
Hunger macht sich bemerkbar. Wie immer eigentlich. Das Wirtshaus am Straßenrand hat geschlossen. Das im nächsten Ort auch. Erst in “Rokycany” werde ich fündig. Süße Kleinstadt mit vielen verschlossenen Geschäften. Es ist kurz nach 18 Uhr. Google maps verrät mit eine offene Pizzeria um die Ecke. Tatsächlich. Pizza geh doch immer, oder?
Gerne würde ich auch die traditionelle Tschechische Küche probieren. Doch wo ich das tun könnte bleibt mir ein Rätzel.
Die Pizza ist lächerlich günstig. Das Bier dazu auch. Leider ist nur letzteres wirklich genießbar. Pizza sollte man den Italienern überlassen. Egal, immerhin ist mein Bauch gefüllt. “One more beer , please.”
Ich habe einen leichten Schwips, als ich wieder auf mein Rad steige. Auf zur Schlafstätte. Wo auch immer die sein mag. Mein Blick schweift durch die Landschaft links und rechts meines Weges. Ich erkenne nichts geeignetes. Viele Grundstücke sind umzäunt. Hinter den meisten Mauern kläffen Wachhunde. Bei der unsicheren Wetterlage wäre ein Dach über dem Schlafsack schon einigermaßen sinnvoll.
Nach langer vergeblicher Suche entdecke ich einen Fussballplatz. Mit Sportplätzen habe ich gute Erfahrung gemacht. Dort taucht selten irgendwer in den frühen Morgenstunden auf und außerdem findet sich meistens ein trockenes und ebenes Stück Boden. Wie zum Beispiel in dieser überdachten Mannschaftsbank. Perfekt. Endlich. Gute Nacht Tschechien. Gar nicht so übel bei dir.

Der heutige Wecker wird nicht ignoriert. Um halb sieben sitze ich auf dem Rad. Diesmal ohne Platten. Überhaupt super mit fast keiner Technischen Panne vorwärts zukommen. Endspurt nach Prag. Die Sonne zeigt sich zaghaft hinter den Hügeln vor mir und beschert mir eine traumhafte Kulisse. Nebelschwaden und Morgenröte. Ich rolle durch ein Paradies.
Frühstück gibt es aus dem örtlichen Supermarkt. Auch wenn hier niemand den anderen verbal versteht. Der Fruchtsaft, die Brötchen und der Aufstrich gelangen trotzdem rechtmäßig in meinen Besitz.

Der Rest der Strecke rollt sich schon fast von alleine. Auch wenn meine Beine müde und mein Kopf schwer sind. Um 12 Uhr fahre ich in Prag ein. Was für ein Anblick diese Stadt doch ist. Alte prunkvolle Gebäude, wohin man sieht. Vergoldete Dächer und altertümliche Verzierungen an nahezu allen Fassaden. Jetzt weiß ich warum viele sagen: Prag sei so geil. Weil es stimmt.
In einem Hostel, mitten in der Innenstadt und dennoch etwas außerhalb von Tourismuszirkus, der hier wie in jeder Metropole der Welt wütet, bekomme ich ein Bett im Schlafsaal. Für erschwingliche 10,00€/Nacht. Privatsphäre gibt es hier keine, dafür aber eine Dusche. Duschen nach drei Tagen Radfahren kommt einer Wiedergeburt gleich. Endlich darf ich dieses verschwitzte Radtrikot gegen ein normales T-shirt eintauschen.


Ab jetzt startet der angenehm unsportliche Teil meiner Pragreise. Ich werde an diesem Nachmittag, drei mal Essen gehen, ein Schläfchen halten, die Gegend erkunden und mich abends mit einem Amerikaner aus dem Hostel betrinken. Prag ist ein Genuss.
Am nächsten Tag verbringe ich, nach einem reichhaltigen Frühstück, den Vormittag damit mein restliches Bargeld los zu werden. Ich streife durch die Altstadt. Bin dabei der einzige Radfahrer in der Stadt. Mitbringsel, Fotos, Andenken und Tschechisches Essen. Um 13:30 Uhr wuchte ich mein Rad in den ALEX nach München. Zeit nach Hause zu fahren.



Was bleibt am Ende noch zu sagen? Ich war vier Tage weg von Zuhause, was sich im Nachhinein angefühlt wie drei Wochen. Nach knappen 48 Stunden auf dem Rad habe ich einen Teil der Welt kennen lernen können, der so viel anders ist als meine Wahlheimatstadt München. Ich habe ein wundervolles Abenteuer erlebt. Teilweise hässlich und anstrengend, teilweise wundervoll. Meine Vorurteile wurden bestätigt oder ausgeräumt. Mein Trip nach Prag hat mein Leben zwar nicht grundlegend verändert, das stimmt. Allerdings hat es meinen Horizont noch etwas mehr erweitert. Was ganz automatisch passiert, wenn man diesem entgegen fährt.

14 Gedanken zu „Mit dem Rad nach Prag – leichtes Gepäck und schwere Beine

  1. Hey, das gefällt mir. Danke für Deinen Reisebericht. Da bekomme ich doch glatt Lust, es Dir gleich zu tun. VG aus Bonn
    Peggy

  2. Hi Jungrandonneur. Alles falsch gemacht. Erstens: mich nicht besucht: ich wohn in Regensburg. Wenns dir gefallen hat: besuch mich mal, hier gibts ganz nette Gravel Touren. Zweitens: Bist du den München-Regensburg-Prag Radweg gefahren? Da hats eigentlich fast keine Autos. Ein Foto schaut nach Falkensteiner Radweg aus. Das is ein schöner Weg, aber mit mehr Berg. Der kleine Fluß ist der Regen (Standardweg) Man kann aber auch entlang der Naab. Es gab mal eine Via Carolina Radmarathon Regensburg-Prag, die Strecke bin aich auch mal gefahren. Hab noch den Track falls von Interesse. Tschechien ist zum Graveln Klasse. Ich würde noch Mitfahrer für eine Nationalpark Sumava Nord Süd Durchquerung Furth im Wald-Passau suchen…
    Hat dort ein umfangreiches Gravelweg Netz und offizielle Biwakplätze. Iron Curtain Radweg geht auch durch.
    Kann Fotos linken wenn du magst. PM über Mail…
    Alexander vom München 200er und Candy

  3. hi, nett…. ich starte am freitag, sprich 27.7. und werde zum 2ten mal nach prag losradeln … erinner mich noch an zermürbende anstiege … und hab lust auf zelt und zeit und einfach dinge passieren lassen … man liest sich in fb. gruß udo

  4. Hatte ein wenig die gleichen Gedanken wie Alexander. Aber das macht ja den Reiz aus, dass man einfach losfährt und dabei manches flasch macht. Tschechien hat ein riesiges Radnetz, wo man mit Gravelbike top aufgehoben ist.
    Aber super Bericht.
    PS: Du bist sicher nicht durch Franken gefahren.

    1. Hi Tom,
      Danke fürs lesen und kommentieren. Bei meiner nächsten Ausfahrt werde ich sicher auf solchen Kram achten. Koomot ist eben nicht immer die goldene Lösung. Liebe Grüße Jo

  5. Hi Jo, its a very nice article, I live in Prague and its interesting to read your thoughts about the CZ experience. And especially the photo of your overnight stay at the football pitch is fabulous (DOMACI means „HOME TEAM“ ).
    At the end of the August I go bikepacking to Italy via Alpe-Adria radweg. But one day, I must visit a Munich, as you did visit the Prague. You gave me a great inspiration.

    Btw – about the cyclist ban in Prague, its not so „hot“, it just about few (usually overcrowded) streets in the real city centre. I do cycle a lot, but this decision makes a sense for me. With so many tourist, its not safe to drive a bike (and actually the real meaning of this ban is to fight agains Segways and similiar vehicles)

    Take care and Greetings from Prague

    Jan

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