München – Amsterdam in 5 Tagen: Teil 2 “Berge, Gastfreundschaft und das Regime Holland”

Fortsetzung von Teil 1

Tag 3 Frühstück im Omakaffe.

Geschlafen habe ich dann wohl doch irgendwann. So fest, dass ich den Regen, der offensichtlich runter prasselte gar nicht bemerkt habe. Insoweit war mein Schlafplatz dann doch gut gewählt. Den Sonnenaufgang habe ich lange schon verpasst.

Wie erhofft ist tatsächlich heute vieles besser las gestern. Eine Wolkendecke verhintert die weitere Austrocknung der Welt und außerdem habe ich für heute ein konkretes statt einem ungefährem Ziel. In Bonn lebt Ulf. Den kenne ich noch vom Candy und nach den gruseligen Episoden in meinem Kopf, letzten Abend komme ich gerne auf sein gastliches Angebot auf Instagram zurück, sein Sofa zu benutzen. Ich merke, dass es es weniger Stress bedeutet, zu wissen wo man heute Nacht schlafen wird.

Ich rolle gemütlich durch Friedberg. Elvis war hier stationiert, wie es zahlreiche Plakate und ein Platz zeugen. Es gibt sogar ein Elvis Festival. Ein schöne Burg gibt es hier auch. Bei einem Obsthändler erstehe ich Bananen und Pfirsiche.

Der Nächste Ort heißt Bad Nauheim. Dort finde ich endlich ein Kaffee das auf meinem Weg liegt. Zwei ältere Damen vor mir diskutierten ausgiebig die Qualität des Blechkunchens. Ich bilde mir selbst eine Meinung über eben diesen. Zwei mal.

Unterbewusst bereiten sich meine Beine auf die anstehenden Spitzen im Höhenprofil vor. Vor mir liegt der Taunus, sowie der Westerwald. Zwei Mittelgebirge, die es zu überwinden gilt, bevor ich mein Tagesziel Bonn erreichen werde. Schöne Aussichten, wenn dazwischen nicht über 2000 Höhenmeter liegen würden.

Die gute Nachricht: Die Hitze ist verschwunden. Naja zumidest hat sie sich endlich mal abgeregt. Sanfte graue Wolken sorgen für eine Abmilderung. Ein Glück, denn so kann ich endlich Sport betreiben wie ich es mag.

Der Taunus ist wunderschön. Hügelig zwar aber wirklich schön. Die meiste Zeit geht es durch den Wald, doch immer wieder gibt eine Lichtung die Sicht frei und erlaubt einen Blick in die Ferne. Dann halte ich inne.

Gerade in diesen Tagen findet auch das taunusbikepacking statt.  Nach meinem Blick auf die Karte sollten sich irgendwo meine Asphaltroute und der Feldwegtrack der Fahrer irgendwo überschneiden. Und tatsächlich treffe ich, nach einem langen Anstieg, Tilman, einen der Fahrer, als er auf einer Bank rastet.. Ich erkenne ihn nicht persönlich aber als solchen an seinem Fahrrad. Ich halte kurz für einen Chat unter Radabenteurern. Auch die Fahrer des Taunusbikepacking hatten ordenlich mit der Hitze zu kämpfen. Eine nette Begegnung. Wir wünschen uns alles Gute. Zeit weiter den Berg herrunter zu rollen. Ich nehme die Staße er weiter den Schotter.

Irgendwann beim Blick auf die Kilometerzahl stelle ich fest, dass ich die 400 km geknackt habe. Halbzeit. Fühlt sich brauchbar an. Schließlichist es Mittwoch Vormittag. Zu sehen ist hier allerdings nichts besonderes. Nur ein weiterer Tierkadaver.

Durch den Taunus auf Asphalt fahren zu wollen ist eine schöne aber auch eine schlechte Idee gewesen. Man teilt sich die Straßen mit den Autos. Die überholen nciht umbedingst auf die englische Art. Mittelfingerreflex. Das zerrt an den Nerven. Ich verfluche meine Faulheit bei der Routenplanung.

Irgendwann habe ich die Straße für mich alleine. Ein sicher 7 Kilometer langer Abschnitt ist frisch asphaltiert. Endlich Ruhe. Endlich durchatmen.

Was heute sonst noch passiert: Kerzengerade Anstiege, diverse Stopps an Wasserhähnen, idyllische Orte, treten, schauen und Pause machen. Anstrengend aber schön.

In Weilburg sitze ich beim Türkischen Imbiss als zwei weitere Bikepacker vom Taunusbikepacking vorbeirollen. Daniel und Tim. Freundliche RTdabenteurer, die ein wenig vom Pech verfolgt wurden, die letzten Ettappen.

“Fährst du auch die Taunusbikepcking?” – “Nö, ich fahr nach Amsterdamm.” – “Oh, Auch krass” – “Danke ebenfalls.”

Erfahrungsaustausch, die Wünsche einer guten Weiterfahrt und eine lose Verabredung bei Strava flybys.

Später im Westerwald verfahre ich mich. Ich denke ich kürze über den ausgeschilderten Fahrradweg nach Hachenburg (dem nächsten großen Ort auf meiner Route) ab, um der nervigen Autostraße zu entkommen. Keine gute Idee. Der Radweg endet im nichts, ich verfahre mich jämmerlich und ich stehe im Wald. Zum Glück verträgt mein Rad auch Waldwege.

Als ich irgendwann endlich wieder schweißüberlaufen auf einer geteerten Straße stehe, die dankbarer weise für Autofahrer gerade gesperrt ist, schickt meine Oma eine Whatsapp-nachricht:

Hallo Jo, ich hoffe, dass du dich heute meldest und, dass du gut vorankommt.”

Mist, hatte ganz vergessen mich gestern zu melden.

    “Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich gerade nur ein bisschen verfahren. Ich hoffe ich schaff es heute noch nach Bonn. Liebe Grüße

Dazu ein spontanes Bild:

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Jetzt bin ich beruhigt. Fahr ruhig weiter. Ich sehe gerade du siehst etwas abgekämpft aus eine kleine Pause wäre gut.”        –               Die gute Frau hat Recht.

Wie meiner Oma versprochen mache ich bald Pause. In einem großen Supermarkt decke ich mich an meiner letzten großen Versorgungstation für heute ein.

Beim Automatenkaffee vor dem Supermarkt spricht mich ein älterer Herr auf mein bepacktes Rad an. Er erzählt mir von seinen Radtouren in seiner Jugend, wie er bei verschiedenen Bauern im Heuboden geschlafen hat und wie er sich seinem Einsatz bei der Wehrmacht enzogen hat.

Als ich ihm auf seine Frage, wo ich denn schlafe, antworte “im Freien”, wird er stutzig. Er erzählt mir ungefragt eine Gruselgeschichte von einem ermordeten Mann: Der Dialog spielte sich in etwa so ab:

Mann: “Wissen Sie, der hat auch draußen geschlafen…”

 Ich : “Ich glaube, ehrlich gesagt die Geschichte möchte ich lieber nicht hören.”

Mann: “Wieso? Brauchen ja keine Angst haben… Jedenfalls haben die Obdachlosen den Mann nachts getötet und …”

 Ich :  “Danke es reicht schon. Ich habe genug gehört.”

Mann: “… dann haben Sie ihm den Kof abgeschnitten. Das muss man sich vorstellen… Den Kopf haben Sie mitgenommen. Nur den Körper liegen gelassen.. ”

    Ich :  “Bitte hören Sie auf, es genügt. Ich habe jetzt schon Angst wenn ich draußen schlafe.”

Mann:“ Ja ja, aber passiert ja nichts. Jedenfalls ist der Mörder immer noch nicht gefasst. Der wird immer noch gesucht. Das war nicht weit von hier…”

Ich wünsche dem Herren freundlich einen schönen Tag und innerlich einen Schnupfen. Ich sehe zu, dass ich nach Bonn komme.

Westerwald: Wunderschön. Sonnenuntergang und einsame Teerstraßen. Die kommenden drei Stunden genieße ich in vollen Zügen. Auch wenn ich merke, dass schon ziemlich lange auf dem Rad sitze. Weil ich weiß, dass ich heute einen festen Schlafplatz haben werde und mir diesen nicht erst suchen werde müssen, gebe ich ordentlich Gas. Reserven brauche ich mir für heute keine zurück zu halten.

Kurz nach Sonnenuntergang empfängt mich Ulf an der Kennedybrücke in Bonn. Er verpasst mir eine Stadtführung im Schnelldurchlauf. Bei ihm zuhause öffnet er mir seine Dusche und drückt mir ein Bier in die Hand. Für das Gefühl, nach drei Tagen auf dem Rad, endlich zu duschen fällt mir kein annähernd passender Vergleich ein.

Die Hilfsbereitschaft, die ich auf meinen Touren immer wieder erfahren darf rührt mich immer wieder. So auch jetzt. Das Menschen sich gegenseitig einfach so,  ganz ohne Eigennutz helfen, macht mir Mut nicht komplett an der Menschheit zu zweifeln. Auf dem Sofa sitzend, besprechen wir Radgeschichten. Es tut gut nach drei Tagen Einsamkeit nicht nur mit sich selbst zu sprechen. Gut tut es auch in einem echten Bett zu schlafen. Danke Ulf! Vielen Dank! Auch an deinen mir unbekannten Sohn, dessen Kinderzimmer ich als Nachtlager gebraucht habe.

Tag 4: Flachland

Ab Bonn wird es flach. Das wusste ich schon im Voraus und darum freu ich mich auch schon ein wenig auf die heutige Fahrt. Ausgeschlafen bin ich auch einigermaßen.

Wenn es kein Berge gibt, funktioniert auch die Krafteinteilung anders. Sonst kann man sich immer wieder Innere zwischenetappen setzten wie: “Das ist der letzte Anstieg bis in 40 km” oder “den höchsten Punkt der Tour” überwunden haben. Heute nicht. Heute fahre ich einfach meinem Vorderrad hinterher. Mache manchmal Kaffee- oder Zuckerpause, versorge meine Wunden, oder erfreu mich am bemerkenswerten Zungenschlag der Menschen. Das rheinische ist tatsächlich etwas, das nicht nur im Fernsehen stattfindet.

Nach zwei Stunden oder drei – gefühlt ist das dasselbe – komme ich in Köln an. Foto vom Dom machen und Geschwindigkeit zwecks Stadtbegutachtung reduzieren. Ich hab plötzlich Lust auf asiatische Nudelsuppe. Nicht der ungeeignetste Ort für ein solches Gelüst. 11 Minuten später steht eine vor mir. Großstädte sind praktisch.

Was zwischen Köln und Uedem – meinem Tagesziel für heute – passiert ist schnell zusammengefasst: Essen, trinken, pedalieren. Die durchfahrenen Orte heißen Dormagen, Neuss, Krefeld, Kerken, Geldern und Kevelaer.

Ein kurzer Platzregen von 7 Minuten ist alles was ich an schlechten Wetter mitbekomme. Glücklicherweise stand ich gerade dann unter einem Vordach einer rießigen Erdbeere.

Nur der Gegen- und Seitenwind  beginnt zu nerven. Ich habe mittlerweile 600 km in dem Knochen und das macht sich bemerkbar. Irgendwas tut immer gerade ganz besonders weh.

Am späten Nachmittag kommt die Müdigkeit. Alles ist flach aber auch etwas langweilig. Ist es möglich, da hier eh nichts wichtiges passiert, ein Schläfchen auf dem Rad zu machen?

Kaffee hilft. Diverse Naschereien aus dem Edeka in Aldekerk (Das ist ein Name?) auch.

Um 19:00 Uhr komme ich bei Carina und Karsten an. Meine Gastgeber, die ich über couchsurfing ausgemacht habe. Gute Leute. Schwanger, vegan, flugzeugbegeistert und zu Gesprächen aufgelegt.

Die wollen mir nicht den Kopf abtrennen, wie es andernorts angeblich gemacht wird. Stattdessen wird mir höflich eine Dusche angeboten, ein lokales Bier hingestellt und ein Spiegelei gebraten. Danke, danke danke!

Morgen geht es nach Amsterdam. Das bedeutet: Morgen hab ich es geschafft.
Tag 5: Blumen und Verschwörungen

Ich fahre nicht sofort los, nachdem ich drei Stunden nach meinem Wecker aufwache. Letzteren hab ich wohl einfach überhört. Carina hat Hirseauflauf in den Ofen geschoben und da muss ich natürlich  nicht lange überlegen um den abzuwarten. Außerdem bekomme ich einen halben Liter Kaffe angeboten, in einer Tasse in die genau diese Menge reinpasst. Carina, fährt selbt nur zu gerne Rad und weiß was ich brauche. Danke nocheinmal.

Bis ich in den Niederlanden(Oder sagt man Holland? Eines von beiden ist einer von beiden Gruppen glaube ich nicht so recht, meine ich mich zu erinnern) ankomme, ist nicht mehr viel weg zu treten und besonderes zu sehen auch nicht. Bis natürlich auf die Nonne auf dem Reiserad, die ich natürlich nicht unerwähnt und unfotografiert lassen konnte. Vergelt’s Gott.

Der Grenzübergang zu den Niederlanden ist unspektakulär. Nur ein Schild am Wegrand. Dass ich in einem anderen Land bin merke ich jedoch sehr schnell. Alles sieht anders aus. Die Häuser, die Gärten, die Straßen und für mich besonders interessant: die Radwege. Jede noch so kleine Nebenstraße hat einen Radweg von dem die selbsternannte “Radlhauptstadt München” nur träumen kann.

Auch Radfahrer sieht man sehr sehr viele. Trotz wechselhaften Wetter trete ich an unzähligen Niederländerinnen und Niederländern auf ihren typischen Hollandrädern vorbei.

Die Fahrt ist nicht kurz, trotzdem vergeht Sie wie im Flug. Immer wieder muss ich Fotos machen. Kühe, Schafe, und sehr viele große Vögel mit langen Schnäbeln kreuzen mein Handyobjektiv. Nicht zu vergessen die Plantagen. Obst, Gemüse und Blumen in rauen Mengen. Immer wieder unterbrochen von zauberhaften kleinen Orten. Ich finde es super hier.

Sonne, Windböhen und Platzregen wechseln sich ab. Ich bin froh um meine Regenjacke. Pause mach ich wenig. Nur zum Getränke auffüllen oder einmal um die berühmten Pommes zu probieren. Die schmecken übrigens genau wie in Deutschland. Finde ich zumindest.

Ich verbrauche meine Vorräte aus meinen Taschen. Alles was ich nicht umsonst mitgefahren habe ist gut. So kommt es, dass ich zum ersten Mal ein Glas  Babybrei während der Fahrt verputze.

Die verbleibenden Kilometer schrumpfen dahin. Aus 80 km werden 50 km. Ich fahre auf Autopilot. Die Beine treten scheinbar von ganz alleine. Aus den übrigen 40 km werden 20 km und irgendwann bin ich dann schon da. Amsterdam. Das Ziel meiner Fahrt. Krass. Ein wahnsinnig toller, langer, beschissener, abwechslungsreicher, einsamer und bereichernder Trip.

Distanz: 833 km

Höhenmeter: 4.989

Bewegungszeit : 42:02:09 h

Unterwegs: 4 Tage 6 Stunden

Verbrannte Kalorien: 28.652

Pannen: 0

Kosten: 20,- €/Tag + Fernbus Ticket Amsterdam- München (45,- €)

In Amsterdam schlafe ich auf der Couch von Thomas. Ein sehr netter Kerl, mit dem ich mich lange und oft unterhalte. Ein richtiger Hippietyp. Thomas schreibt Artikel und macht Videos über die heilende Wirkung von sämtlichen Planzen. Seinen eigener Ansicht nach kifft er zu viel. Mag sein.

Wir kochen zusammen und am nächsten Tag zeigt er mir die Stadt. Eine Stadt die man gerne nochmal besuchen kann.

Irgendwann werden mir Thomas Ansichten zu wirr. So nett er ist. Irgendwas kommt mir komisch vor. Dann wird es mir irgendwann klar.  Thomas ist ein Verschwörungstheoretiker. Als mir das klar wird bekomtm alles was Thomas sagt einen seltsammen Beigeschmack. Er glaubt 9/11 war ein inside job, das Tagebuch der Anne Frank sei eine Fälschung,  die jüdische Elite habe mitbestimmt wer beim Holocaust deportiert werden soll und ganz allgemein, dass wir in einem faschistischen Regime leben würden. Ach du lieber Himmel! Mein Gehirn ist nicht in der Lage adequate Antworten zu finden. Zeit mich zu verabschieden. Ich steige in den Flixbus, zurück nach München.

5 Gedanken zu „München – Amsterdam in 5 Tagen: Teil 2 “Berge, Gastfreundschaft und das Regime Holland”

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