Reisebericht: Von München nach Ljubljana – oder  auch nach Spittal an der Drau

Hurra! Ich fahre nach Slowenien – oder so. Ein neuer Reisebericht ist da. Endlich habe ich mich mal wieder für eine längere Strecke auf den Sattel gesetzt und nun schreibe ich darüber. Start der Reise ist – wie so oft – mein Wohnort München. Ziel ist Ljubljana in Slowenien. Dazwischen Österreich, Tirol, Kärnten, viele Berge. Als höchsten Punkt habe ich mir den Großglockner vorgenommen.
Vier Tage habe ich mir Zeit eingeräumt und 530 Kilometer vorgenommen. Ich wünsche gute Unterhaltung beim Lesen.


Sonntag


Endlich geht es wieder los. Endlich wieder Strampeln. Endlich wieder raus: All das habe ich mir überhaupt nicht gedacht. Am Abend vor meiner Abfahrt fühle ich mich so überhaupt nicht nach Radfahren. Krank und abgeschlagen fühle ich mich. Schwitzend und matt, mit einer Ibuprofen im Blut, gehe ich meine Packliste durch. Zum Glück habe ich dabei Routine.
Leichtes Gepäck. Wie immer eigentlich. Die Unterkunft in Ljubljana ist gebucht, Wechselkleidung an das Hotel verschickt und die Zugreise zurück ist reserviert und bezahlt. Also muss ich los. Ich sollte zumindest. Ein bisschen will ich ja auch. Nach all der langen Zeit der notgedrungenen Enthaltsamkeit.

Montag

Wegen der nur mittelmäßig ausgeprägten Motivation und einem viel zu späten Einschlafen verschiebe ich meine Abfahrt von 8:00 Uhr auf 10:00 Uhr morgens. Schlaf auffüllen. Das scheint mir wichtig.
Mit Haferflocken und Kaffee im Bauch geht es raus in den Nieselregen. Erstmal raus aus der Stadt. Der Vormittag gestaltet sich als richtig anstrengend.
Es regnet und der städtische Autoverkehr nervt. Ich hätte einfach nur die S-Bahn raus aus der Stadt nehmen sollen; das wäre viel entspannter gewesen. Hätte hätte Menschenkette. Merke ich mir für nächstes Mal.


Wie immer hört es auch wieder auf zu regnen. Es klart auf und langsam beginnt die Sache Spaß zu machen. Nach etwa drei Stunden habe ich den Großraum München und all den damit verbundenen Trubel hinter mir gelassen. Auch meine innerer Trubel legt sich langsam. Die stressigen Ereignisse in der Arbeit, die mir noch nachhängen, Unzufriedenheiten im Alltag, all die Kleinigkeiten und großen Brocken auf der Brust. Irgendwann ist jedoch alles gedacht, alles zu Ende überlegt und der Kopf frei gestrampelt. Das Gefühl, krank zu sein, tritt in den Hintergrund, verschwindet irgendwann ganz. Das gute alte Gefühl, weg zu sein, stellt sich ein. Ich bin unterwegs, wie schön.
Ein starker Regenschauer kommt schneller, als ich einen Unterstand finden kann, und ist schneller wieder vorbei, als ich meine Regenjacke wieder zurück packen kann. Wechselhaftes Wetter nennt man das wohl.


Nach ein paar Stunden komme ich nach Holzkirchen. Dort habe ich diffusen Appetit auf asiatische Küche und werde prompt fündig. Essen hilft bei wechselhaftem Wetter und bei müden Beinen. Einen großen grünen Tee hinterher. Der tut überraschenderweise besonders gut. Immerhin habe ich mich gestern noch krank gefühlt.

Den Rest des Nachmittags verbringe ich einfach mit Treten.  Strecke machen und in die Landschaft schauen. Irschenberg. Hier war ich schon mal. Kommt mir bekannt vor die Ecke. Erinnerungen an die Brevets von vor drei Jahren kommen zurück. Plötzlich bin ich schon in Österreich. Kufstein.
Mein inneres Mindestmaß an Strecke ist für heute schon mal absolviert. Bisschen was geht schon noch. Erst aber noch Pommes essen. Zumindest versuche ich es. Bekomme irgendwie nichts runter. Zu fettig, zu salzig? Vielleicht auch zu sehr Pommes. Im Supermarkt, ein paar Minuten weiter, finde ich Buttermilch und Saft. Das geht besser rein. Das ist gut so, denn der Track verlangt mir kurz darauf schon die ersten Höhenmeter ab.


Es ist 18 Uhr. Ab 20 Uhr ist Sonnenuntergang, so dass ich um 19 Uhr spätestens einen Schlafplatz  gefunden haben möchte. Mein Blick streift umher nach einer geeigneten Stelle.
Trocken sollte sie sein. Das ist wichtig. Immer wieder ist dem grauen Himmel danach, ein paar Tropfen abzulassen. Wer weiß, was da noch so kommt heute Nacht.
Am Wilden Kaiser direkt am Wegrand entdecke ich einen Geräteschuppen. Eher ein Verschlag. Nicht

viel größer als der Tankanhänger, der darin steht. Doch hinter diesem ist Platz für mein Rad und meinen Schlafplatz. Penibel leuchte ich den Boden nach ekligen Überraschungen ab. Neben Spinnweben und Vogelkot finde ich nichts, was mich vom Schlaf abhalten kann. Ich ignoriere die staubige Luft und hoffe, mir den leichten Uringeruch nur einzubilden. Etwas besseres für die Nacht werde ich nicht finden.
20:15 Uhr. Ich liege in meinem Schlafsack und bin glücklich. Seit heute Mittag fühle ich mich super lebendig, gesund und richtig belebt. Ich bin glücklich, hier zu sein. Ich bin unterwegs, trocken und ohne Beschwerden.

125 km sind geschafft. Das ist sehr viel für mich und meine Verfassung. Morgen gehen die Berge los.

Dienstag

Guten Morgen! Ausgeschlafen? Aber sowas von. Am Morgen das alt bekannte Prozedere: Rein in die Klamotten, alles zusammenpacken und zurück auf die Straße. Es nieselt sanft und es ist ganz schön frisch. Außerdem habe ich sehr großen Hunger. Immerhin gab es gestern kein richtiges Abendessen. Im nächsten Ort frage ich in einem Hotel, ob es dort ein Frühstück für einen hungrigen Radreisenden gibt. Gibt es. Für 11 € ein All You Can Eat-Buffet mit einer großen Kanne Kaffee ist eine sehr gute Idee. Mein Pro-Tipp.


Vollgetankt trete ich weiter. Immer weiter das Ellmautal entlang. Bei den altertümlich anmutenden Häusern, an denen ich vorbeifahre, bekomme ich vermehrt das Gefühl, dass diese besonders deshalb so aussehen, um mir das Gefühl von original österreichischer, naturnaher Tradition zu vermitteln. Klar: Ich bin in Tirol. Ein Land, das vom Tourismus lebt. Aber ginge das nicht auch ohne die volle Folklore-Peitsche? Aber egal. Wer bin ich denn, um das zu bewerten?

In Kitzbühel kaufe ich mir eine neue Windweste. Meine hängt zu Hause im Schrank. Dennoch ein guter Kauf, denn immerhin ist meine Daunenjacke zu warm, meine Regenjacke bei ausbleibenden Tropfen zu klebrig, und ganz ohne dritte Schicht oben rum ist es einfach zu frisch. Zusammen mit den Armlingen, die ich die letzten Jahre sonst immer nur spazieren gefahren habe, erfreue ich mich jetzt einer angenehm temperierten Kleidung. Richtig gut finde ich auch meine neue Radhose von de marchi. Die ist zu einem großen Anteil aus Wolle und damit für die nasskalten Bedingungen bestens geeignet.


Hügel für Hügel geht es nun mehr und mehr aufwärts. Ich steuere auf den Jochberg zu. 
Ich erinnere mich grob an diesen Anstieg. Dort war ich schon 2018 beim 400er-Brevet (zumindest meinem Versuch daran). Allerdings ist es so, dass die Erinnerung an diesen Berg weitaus harmloser abgespeichert ist als die Lust, die ich jetzt habe, das Ganze anzugehen. Ein zäher Hund dieser Jochberg. Zumal der dazugehörige Pass Thurn mit seinen zusätzlichen 500 Höhenmetern (oder so) erst noch kommt, wenn man den Ort schon lange hinter sich hat. Irgendwie hatte ich das ganz vergessen.

Immerhin nehme ich diesmal die unbefestigte Seitenstraße und muss mich daher nicht mit Autoverkehr herumärgern. Oben angekommen bin ich im Grunde durch für heute. Es wäre auch jetzt schon ein erfolgreicher Tag auf dem Rad gewesen, doch der ist noch lange nicht vorbei.
Die Abfahrt macht richtig Freude. Auch deshalb, weil ich auch bergab jenseits der Autostraße den Schotterweg nehme. An Kuhweiden und Bauernhöfen vorbei und all die angesparten Höhenmeter verprassend fliege ich 7 Kilometer ohne eine einzige Kurbelumdrehung talwärts Richtung Mittersill.
In Mittersill suche ich nach einer Einkehrmöglichkeit. Leider habe ich in der Hinsicht Pech. Es ist Nachmittags-Zeit oder Mittagsruhe (?) oder halt irgendeine Zeit, in der die Gasthöfe zu haben. Außerdem hat mich wieder die bereits angesprochene Tourismus-Folklore-Keule so sehr abschreckt, dass ich lieber weiter fahre. Also erstmal wieder los. Das Salzachtal entlang Richtung Osten. Die Kilometer machen sich hier fast von alleine. Verschlafene Heuschober am Wegrand, die Berge Tirols um mich herum und die Salzach als Wegweiser.

Irgendwann mache ich eine dringend notwendige Einkehr bei einem Supermarkt. An der Theke gibt’s warmes Essen auf die Hand und Getränke in die leeren Flaschen. Am Dorfplatz lege ich meine Füße hoch und stelle fest, was ich nicht wahrhaben will. Ich habe ordentlich Krämpfe in den Beinen. Hatte ich nicht irgendwo in den Tiefen der Taschen Magnesium eingepackt? Habe ich. Zum Glück. Kann also weitergehen.

Fest steht: Meine Beine haben eindeutig nicht mehr die Masse an Muskeln, wie es mal der Fall war. Zwar habe ich genug Übersetzung dabei: doch einfach mehr oder weniger untrainiert losradeln, in die Alpen, das rächt sich eben jetzt.

Die Königsetappe meiner Tour schwebt wie ein Damoklesschwert über mir. Der Großglockner wartet bereits am Ende dieser flachen Etappe auf mich und der ist um ein vielfaches höher, weiter und steiler, als was ich bisher so gefahren bin. Schaff ich das heute noch? Mal sehen, erstmal weiter.
In Bruck am Fuße der Großglocknerstraße ist klar: Bevor es da hoch geht, muss ich auf jeden Fall noch einmal kräftig Pause machen. Vielleicht muss ich auch gar nicht los. Vielleicht reicht es auch für heute. Vielleicht auch nicht. Unschlüssig rolle ich in den Ort und  lasse es auf mich zukommen.
In Bruck finde ich ein Gasthaus, das in 5 Minuten öffnet. 16 Uhr. Sehr gut. Hier möchte ich mir richtig den Bauch vollschlagen, die Füße ausstrecken und mich dann gestärkt an meine Königsetappe machen. Leider gibt es warme Küche erst ab 17 Uhr. So lange möchte/sollte ich nicht warten. Also erstmal nur einen Kaffee und einen Kuchen bestellt. Im Kopf rechne ich Fahrzeit, Sonnenuntergang, innere Reserven, restliche Strecke und Zeit gegeneinander auf. Alles ganz schön knapp kalkuliert. 
Ich beschließe es zu versuchen. So oder so. Eine Alternative zur Kalorienzufuhr im Gasthaus finde ich im Supermarkt. Dort greife nach einer Cola für die Trikottasche und einem Snack direkt in den Mund. Das ersetzt zwar kein gemütliches Abendessen, aber immerhin.

Ich will versuchen, heute noch über den Großglockner zu kommen. Ich bin motiviert. Direkt aufgepeitscht mache ich mich auf den Weg zur Zufahrtsstraße.

 
Im Vorfeld habe ich natürlich recherchiert, wie lange man nach oben braucht. Die Informationen waren unterschiedlich, zwischen eineinhalb und 4 Stunden sei wohl alles möglich. Selbst wenn ich langsam unterwegs sein sollte (und das werde ich sein), bin ich in vier Stunden oben und in fünf Stunden wieder unten. Dann kann ich mir ein Hotelzimmer suchen und mit einer heißen Dusche und einem echten Bett meinen Sieg feiern. So mein Plan, Stand 16:30 Uhr.


Ab jetzt wird es abenteuerlich
Was ich nicht wusste, ab wann die angegebenen Fahrzeiten gelten würden. Zunächst ging ich davon aus, dass diese ab Bruck (750 hm) gemessen sind. Oder ab Fusch? Oder ab Judenbichl? Allein die Zufahrt, bis die Hochstraße überhaupt offiziell beginnt, kostet mich eine Stunde (17:30 Uhr).
In Ferleiten an der Mautstation (1000 hm) ziehe ich ein Ticket für die Zeitnahme. 18:00 Uhr. Auch wenn ich jetzt schon genug habe. Jetzt bin ich da. Jetzt fahre ich das Ding eben. Egal, wann ich oben ankomme.


Ich teile mir die Auffahrt streng in Einheiten von jeweils einer Viertelstunde ein. 14 Minuten Treten, dann kurz hinstellen, Pause machen, eine Minute lang etwas trinken, etwas ausziehen, etwas anziehen, je nach Bedarf. Eine Viertelstunde nach der anderen, stoisch abarbeiten, egal, was passiert. 14 Minuten Treten – 1 Minute Pause. So eingeteilt werde ich es doch sicher nach oben schaffen.
Von der schönen Aussicht habe ich, je weiter ich in Richtung Wolken komme, immer weniger. Es zieht zu. Nieselregen umgibt mich. Ich kann zwar um die nächste Kurve sehen, mehr aber auch nicht. Ich trete weiter, pausiere, trete weiter. Es wird 18:15 Uhr, 18:45 Uhr, 19 Uhr. Wie weit habe ich es noch? Wie weit ist es denn noch nach oben? 19:15 Uhr, 19:30 Uhr. Eineinhalb Stunden sind vorbei, bald zwei. Ich kämpfe weiter und finde es schade, dass ich die Aussicht nicht genießen kann. Zwischendurch zwinge ich mich, ein Foto zu machen, weil das ganze so absurd ist.


Die Dämmerung zieht langsam auf. Es ist jetzt 19:45 Uhr, bald 20:15 Uhr. Aus meinen Viertelstunden-Etappen werden 10 Minuten-Etappen. Ich kann kaum mehr treten und beginne zu schieben.
Ich kann bald nicht mehr weiter. Es ist mittlerweile richtig dunkel. Ich muss doch bald oben sein! Es wird auch richtig kalt. Ich muss mich richtig warm anziehen. 
Irgendwann zieht es mir den Stecker. 


Ich bekomme keine Kraft mehr auf die Beine. Meine Riegel, meine Notfallgels, meine Kraft: alles aufgebraucht. Plötzlich ein richtig stürmischer Kälteeinbruch. Mein Garmin offenbart 2,4 Grad Celsius. Oh Mann, oh Mann. Wo bin ich denn jetzt gelandet?


Wie weit ist es denn noch? Ich muss doch eigentlich längst da sein, ich bin 4 Stunden unterwegs und noch immer nicht oben. Ich bin entkräftet und zittere bis in die kalten Füße.
Als es zu regnen beginnt und es gefühlt immer kälter wird, wird mir klar, dass ich unter diesen Umständen diesen Berg nicht herunterfahren kann. Nicht ohne  zu erfrieren. Ich muss warm werden. An einer Hütte, einer Art Garage für Schneeräumfahrzeuge, suche ich nach einem Unterstand. Leider ist nichts zu finden. Nur nackte Wände. Überall windet und pfeift es. Also doch noch weiter nach oben schieben? Ein Restaurant ist ausgeschildert. Ich will klopfen und um Hilfe bitten, doch ist niemand anwesend. Kein Licht, kein irgendwer. Nur eine Reklame für die originale Murmeltiersalbe. What?!
Ich schalte in den Alarmmodus. Hinter dem Restaurant versuche ich unter den Resten von ausrangierten Holztischen so etwas wie einen Unterschlupf zu improvisieren. Ich muss biwakieren, muss in meinen Schlafsack, um warm zu werden. Ansonsten komme ich den Berg nicht runter.
Das ist alles ganz anders, als ich es mir Zuhause vorgestellt hatte. Das ist alles ziemlicher Mist. Ich schlucke meine aufkommende Verzweiflung herunter. Es ist jetzt eben so, wie es ist. 


Also krieche ich in meinen Schlaf- und Biwaksack, versuche die feuchte Kleidung vor noch mehr Nässe zu schützen und verstaue alles wichtige, etwa die Kamera, so gut und so trocken es geht. Der Boden ist uneben und unbequem. Es ist so eng unter der alten Bierbank, dass ich mich kaum bewegen kann. Trotzdem versuche ich mich etwas auszuruhen und aufzuwärmen. Wozu habe ich denn sonst einen so warmen Schlafsack dabei …

… 2 Stunden später wache ich auf und stelle fest: mein Schlafsack wird nass. Ich weiß nicht, woher die Feuchtigkeit kommt. Ich weiß nur, dass das schlecht ist. Immerhin schneit es leicht. Nach langem Herumgesuche und Umhergewinde stelle ich fest: Mein Biwaksack ist nicht wasserdicht. Er ist offensichtlich zu alt. Seit Jahren benutze ich diesen Biwaksack. Immer als Kälteschutz oder als Unterlage. Doch noch nie musste er das tun, wozu er denn eigentlich wirklich gedacht ist. Im direkten Regen oder Schnee musste ich noch nie liegen. Jetzt wäre es soweit, doch der alte Sack macht einen auf Altersschwäche.


Eine Zeit lang versuche ich mich noch ein wenig umzudrehen und die glitschigen Tischbretter etwas anders anzuordnen. Doch ich muss anerkennen: Ich sitze letztlich im frostigen Regen. Nach einer weiteren Stunde und als mir der Gedanke kommt einzuschlafen und vor Kälte nicht mehr aufzuwachen, bekomme ich richtig Angst und entscheide, dass ich hier dringend weg muss. Meine Erschöpfung schiebe ich beiseite und beschließe, dass ich jetzt genug aufgewärmt sein muss.


Hektisch packe ich meine Sachen zusammen. Meine immer noch eisigen Füße packe ich in meine wasserdichten Socken. (Wasserdichte Socken von Sealskinz sind übrigens überhaupt nicht wasserdicht.) Die feuchte Daunenjacke ziehe ich über die Regenjacke, damit die Feuchtigkeit nicht auf meiner Haut klebt. Alles, was ich habe, ziehe ich an. Ich hasse es ja, diesen abgedroschenen Satz in Berichten zu lesen, aber es stimmt nun mal. An der Mülltonne des Restaurants schneide ich mit dem Taschenmesser aus einem Müllsack zwei Stücke als Windschutz für meine Hände aus.


Derart präpariert mache mich daran, diesen Großglockner endlich hinter mich zu bringen. Nach etwa einer halben Stunde bin ich ganz oben. Hier ist eine Aussichtsplattform, die mir statt Hochalpen-Panorama nur dunkle Fläche und schwarzes Nichts bietet. Außerdem wäre hier eine überdachte Kapelle gewesen. Hätte ich das gewusst … egal jetzt, am Ende ist man immer schlauer.


Gleiches gilt für die vorbeikommenden Hütten, in denen Licht brennt. Bestimmt könnte ich dort Unterschlupf finden, doch jetzt um 3 Uhr in der Nacht muss ich vor allem eines: Das Ding einfach fertig machen. Selbst wenn ich irgendwo dort drinnen liegen könnte: Ich habe nichts Trockenes mehr, ich muss in Bewegung bleiben.


Um vier Uhr morgens bin ich am Hochtor. Dem Höchsten Punkt meiner Reise. 2500 Meter über dem Meer. Meinen Tiefpunkt habe ich überwunden. Die Anzeige zeigt 2,9°C. Guten Morgen Kärnten.
Jetzt geht es an die Abfahrt. Meine Zehen und Finger freuen sich schon. Meine Brille muss ich abnehmen. Sie ist so nass und beschlagen, dass ich ohne besser sehen kann.
Nach der ganzen Hölle der Nacht wird die Abfahrt zum unverhofften Glücksmoment. Sobald ich aus den Wolken herauskomme, zeigt sich das atemberaubende Panorama der Hohen Tauern im sanften Schein des Vollmondes. Ich bin alleine, weit und breit niemand zu sehen, und so rase ich die Serpentinen herunter, vergesse kurz meine tauben Finger und Zehen. Von Minute zu Minute wird es weniger eisig, weniger dramatisch, weniger gefährlich.


Zum Ende der 25 km langen (!) Abfahrt bekomme ich noch einen Platten. Wie das auf der glatten Asphaltstraße sein kann, erschließt sich mir nicht sofort.


Die verdammt teuren Aerothan-Schläuche von Schwalbe sollen doch angeblich aushalten, was sonst kein normaler Mantel aushalten kann. Was auch der Fall ist. Doch die Schwachstelle liegt wohl am Ventil.
Durch die an sich ganz wunderbar wenige Reibung im Mantel verrutscht der Schlauch sukzessiv gegen die Bremsrichtung und das Ventil knickt an der Öffnung durch die Felge ab. Das Phänomen soll mich während der Tour alle drei Schläuche kosten, weshalb die auch gleich zurück geschickt werden. Meinerseits keine Kaufempfehlung.


Doch zurück zu meiner Abfahrt. Der neue Schlauch ist schnell eingezogen und so erreiche ich gegen 6 Uhr morgens den verschlafenen Ort Heiligenblut in Kärnten.
Statt der geplanten 4–6 Stunden habe ich 11 Stunden für die Überquerung des Großglockners gebraucht. Ich bin immer noch durchgefroren, müde und gelinde gesagt am Arsch.


Fehleranalyse: Warum hat es mich eigentlich so zerrissen dort oben? Ganz einfach: Einen Hochalppass wie den Großglockner fährt man nicht einfach so. Nicht am Ende eines langen Fahrradtages. An über 1500 Höhenmeter in den Knochen kann ich nicht einfach weitere 2000 Hm dransetzen. Nicht in meinem unvorbereiteten Zustand. Jenseits meiner Alltagsfahrten bin ich in diesem Jahr keine 600 Kilometer gefahren. Kein Wunder, dass da keine Reserven anzuzapfen sind. Ich kann eben nicht aus dem Nichts heraus an mein Leistungsniveau von vor drei Jahren anknüpfen. Nicht bei Dunkelheit und schlechtem Wetter. Nicht, wenn ich eigentlich schon unsicher bin. Nicht, wenn es um nichts geht. Nicht ohne die Entschädigung der schönen Aussicht. Nicht ohne Gipfelbier. Nicht … nicht … 
Die ganze Aktion war dumm. Sie war gefährlich und unnötig. Obendrein war sie verboten. Würde ich es wieder tun? Auf keinen Fall. 


Fehleranalyse Analyse:Entgegen meines ersten Impulses muss ich mich deshalb auch nicht selbst fertigmachen. Ich habe es versucht. Dabei habe ich mich eben übernommen. Es hat halt nicht funktioniert. Es ist zum Glück alles gut gegangen. Beim nächsten Mal bin ich besser vorbereitet. Vor mir liegt die Zukunft.


Mittwoch

Um sieben Uhr finde ich Kaffee und so etwas wie Frühstück an einem Supermarkt. Endlich!
Den ganzen Vormittag taue ich nicht so richtig auf. Meine Zehen werden übrigens auch zwei Wochen später noch ein wenig taub sein. Bis die Sonne es über den Berg ins Drautal schafft, vergehen lange zähe Stunden. Immer wieder mache ich Pause. Die letzte Nacht steckt mir tief in den Gliedern.
Um 11 Uhr finde ich eine sonnige Wiese. Eifrig breite ich meine nassen Sachen, also alle meine Sachen, in der Sonne zum Trocknen aus und lege mich auf meine Isomatte. Ich gönne mir etwas Schlaf. Die Sonne auf dem müden Körper tut mehr als gut.


Zwei Stunden später geht es schon etwas besser. Ich blicke auf die Karte, höre in meine Beine und stelle fest: bis nach Ljubljana schaffe ich es bis morgen auf keinen Fall. Ich will auch gar nicht. Viel zu müde bin ich und viel zu erschöpft.  Ich habe genug Höhenmeter und Abenteuer im Leib, um es gut sein zu lassen. Also schaue ich online nach Unterkünften, recherchiere Zugverbindungen und so kommt es zu einem soliden Plan B.


Anstatt die nächsten zwei Tage im Spartaner-Wettkampfmodus, werde ich heute noch gemütlich weiterfahren und mir eine Unterkunft mit Dusche suchen. Morgen nehme ich den Zug nach Ljubljana und setze meinen Urlaub im Genießer-Modus fort. Ich freue mich über meinen neuen Plan und mache mich erneut auf den Weg.

An einer Poststation kaufe ich einen großen Karton und schicke alles, was ich nicht mehr brauchen werde, sprich all die nassen Übernachtungssachen, zu mir nach Hause. Warum sollte ich einen nassen Schlafsack und meine stinkenden wasserdichten Socken, die nicht wasserdicht sind, weiter mit mir herumtragen? Eine gute Entscheidung. Sehr zum Leidwesen meiner Freundin, die meine muffigen Sachen in Empfang nehmen wird. Das muss Liebe sein.

Die restlichen vier Stunden bis zum Ferienhaus auf dem Bauernhof möchte ich gemütlich treten. Die Vegetation wird mir einen Strich durch diese Rechnung machen. Denn: Zwar sieht das Höhenprofil aus, als ginge es ausschließlich bergab, doch das ist nur in absoluten Zahlen der Fall. Der Radweg durch das Drautal führt nicht an der geraden Bundesstraße oder der bergab fließenden Drau entlang, sondern schlängelt sich von links nach rechts, von einer Seite des Tals zum anderen im Zickzack. Das bedeutet, es geht immer wieder richtig steil eine Rampe nach oben, um sich dann wieder bergab rollen zu lassen. Immer und immer wieder. Rampe hoch. Rollen lassen. Das ist an sich keine schlechte Art der Fortbewegung, doch meine Beine wollen nicht mehr bergauf fahren. Sie können es kaum noch.
Darum zieht sich meine, auf vier Stunden angelegte Weiterfahrt von 80 km, über die doppelte Zeit. Erst am Abend, um 20 Uhr, komme ich an und mein Entschluss, morgen mit der Bahn abzukürzen, steht umso fester.

Beim aufgedreht freundlich neckischen Wirt bestelle ich mein erstes alkoholisches Getränk auf der Tour. Einen Spritzer. Das ist österreichisch für Weißweinschorle. Das passt sehr gut in die Gegend, weshalb ich es mit Freude trinke. Dazu gibt es ein sehr leckeres, hausgemachtes Nudelgericht. Und auch, wenn ich es gerne gewollt hätte: Zu einem zweiten Feierabendgetränk kommt es nicht mehr. Denn nach der Dusche falle ich in einen tiefen Schlaf.
Morgen beginnt der Urlaub. Aber richtig.


Donnerstag – Freitag – Samstag

Der Rest meiner Reise ist voll an Erlebnissen, aber an dieser Stelle schnell erzählt. Nach drei Tagen Hardcore-Radfahren (358,45 km auf 4763 Höhenmeter) gönne ich mir drei Tage Völlerei und Entspannung. Im Zug nach Ljubljana lerne ich das freundlichste Ehepaar der Steiermark kennen. Es tut gut, nach den drei Tagen mit mir alleine ein anregendes Gespräch zu führen. Eine wirklich schöne Begegnung.


Ljubljana selbst ist eine wundervolle Stadt. Klein und überschaubar. Trotzdem reich an Erkundungs-Möglichkeiten. Ich entdecke eine wunderbare Fahrradwerkstatt mit angeschlossenem Sammler-Dachdoden. Ein Paradies zum Glotzen und ein wirklich freundlicher Besitzer, der Stahlrahmen so liebt wie ich. Bei Gelegenheit unbedingt vorbeischauen. Ich konnte leider nur einen Ersatzschlauch mitnehmen.
http://www.fixie.si/


Eine weitere Entdeckung ist der Shop von Volja. Ein junger Mann, der sehr schicke Kleidung für Männer näht und diese direkt im Laden verkauft. So bin ich unverhofft zu einer kurzen Hose, wie ich sie schon lange gesucht habe, fündig geworden. Für junge Typen mit Nähmaschine habe ich sowieso was übrig. Warum nur?
https://www.instagram.com/volja__/

Ansonsten natürlich die üblichen Städtereisenklassiker: Essen, Trinken, Fotos machen und das ganze wieder von vorn. 


An dieser Stelle endet mein Bericht „München – Ljubljana – Spittal an der Drau“. Irgendwann fahr ich das Teil im Ganzen. Irgendwann mal. Zuerst muss ich allerdings etwas trainieren. Euch danke ich fürs Lesen.
Bis bald.

Fahrt auf Strava

https://www.strava.com/activities/5871494764/embed/b62417d6a0a47e9debd9cbb3e7aaa159b703a8f0

10 Gedanken zu „Reisebericht: Von München nach Ljubljana – oder  auch nach Spittal an der Drau

  1. Phuu: richtig stark. Bin letztes Jahr mit Freundinnen von Passau nach Wien geradelt. Der Donau entlang. Allerdings haben wir 7 Tage gebraucht, trotz Pedele. Aber gut 7ch bin inzwischen 67 Jahre alt.

    1. danke Marco!
      Die Kappe ist eine limited edtion. Von Pannier. Die gab es mal im Rahmen eines Crowdfunding von einem Buch.
      ICh lieb die auch. Auch wenn Sie bald aueeinander fällt.

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