Ich atme immer noch analog I

Ich bin Fan der Platte “digital ist besser” der Gruppe Tocotronic. Ich mag es wenn sie singen: „…dass Leute doof sind, setz ich als bekannt voraus – in einer Gesellschaft in der man bunte Uhren trägt...“  Digital ist besser und mittlerweile wird alles digital.

Ist das wirklich war? Ist digital besser? Ist etwas wirklich besser wenn es aus Einsen und Nullen besteht? (Ich glaube die guten alten Hamburger Verweigerer haben schon auch verstanden, dass ist die Konsequenz der Tendenz, dass Kunst und Kreativität sich immer weiter und weiter verpixelt, nicht nur gutes mit sich bringen wird). Wenn alle Musik, alle Filme, alle Fotos alle Bücher immer und an allen Orten der Welt abrufbar sind? Wenn unsere Erlebnisse, die Pflege unserer sozialen Kontakte, unsere Produkte und unsere Schöpfungen nur mehr auf Bildschirmen und Displays praktiziert und festgehalten werden.

Was haben wir gewonnen durch die immer unglaublicher werdenden technischen Möglichkeiten zu einem immer noch geringeren Preis? Was ist noch richtige Kunst und wer interessiert sich noch für sie, wenn jeder seine eigene machen kann? Wir lesen keine Bücher mehr sondern Blogs. Unsere Fotoalben können wir nicht mehr mit den Händen sondern nur noch mit dem cursor durchblättern.
Was bringt die zunehmende Digitalisierung mit sich und was bedeutet sie für uns? Fragen denen ich mich in den kommenden Texten widmen möchte. Ich gebrauche hierfür immer wieder die Bespiele der Fotografie, der Filmkunst, der Literatur und der Musik. Dinge für die ich mich selber begeistere und versuche auch zu produzieren. Dinge bei denen ich auch Nutznießer der Möglichkeiten, welche die digitale Revolution hervorbringt, bin.

Teil 1:. Es ist uns alles möglich – immer.

Jeder ist ein Künstler. Jeder ist in der Lage Fotos zu schießen, die rein technisch sogar ein hohes Niveau haben mögen. Doch ist dadurch auch jeder gleich ein Fotograf? Es braucht nicht einmal eine Filmkamera zu einem Preis im vierstelligen Bereich um ein Filmemacher zu sein. Doch machen viele Millionen Klicks auf Youtube ein Video tatsächlich zu einem guten Stück Filmkunst?  (Der meist gesehene youtubeclip ist übrigens Justin Biebers „Baby“)

Dadurch, dass das Produzieren so einfach geworden ist glauben wir plötzlich alle große talentierte Künstler zu sein. Gut sieht das Zeug was wir tagtäglich ins Netzt laden auch recht schnell aus. Immerhin: Jeder dritte Jugendliche möchte eine Band gründen, ein Buch schreiben oder einen Film drehen.

Die digitale Technik macht uns das Produzieren von mutmaßlicher Kunst leicht. Das ist auch gut so den so habe auch ich die Chance, mit Hilfe von wordpress.com meine Texte der Öffentlichkeit zu präsentieren, meine Bilder auf Flickr herzuzeigen und meine Band konnte ihre EP innerhalb eines viertel Jahres für 0€ im Proberaum produzieren. Das Internet ist unser neuer Verlag und eine neue Form einer Kunstgalerie. Niemand mehr muss das Haus verlassen wenn der seine Musik herstellen und anderen zugänglich machen möchte. Ein Siegeszug der Technik zugunsten von kreativen Talenten?

Ich bin mir nicht sicher. Nur weil es einfach geworden ist ästhetisch ansprechende Schnappschüsse und erste Kurzfilme zu verbreiten muss das nicht heißen, dass sich diese auch lohnen angesehen zu  werden. Oft werde ich geblendet von einem hochkarätig daherkommenden Video, das gekonnt mit slowmotion und Tiefenunschärfe umgeht. Ist das ganze dann noch schön farblich aufbereitet oder auch einfach nur schwarzweiß gehalten bin ich manchmal echt versucht zu glauben einen guten Film zu sehen. Doch was ist wenn die Story – der inhaltliche Gehalt – einfach schwach ist? Leider ist er das meistens. Optisch super ansprechend verpackte aber keine wirklich gute Geschichten. Aufwendige Videos habe ich viele gesehen aber nur wenige deren Inhalt mich berührt, in Staunen oder ins Nachdenken versetzt hat. Das halte ich für ein Problem. Eure Kameras uns eure Instrumente sind doch für so viel mehr gemacht als dieses öde sich immer wiederholende und sich im Kreis zitierende Zeugs was sich gut macht – aber eben nur für wenige Sekunden. Kurze Zeit später werde ich eure netten kleinen Kurzfilmchen und Musikvideos vergessen haben bei all der Lautheit und all der Bilderflut mit der wir uns so gerne umgeben.

Freunde! Unsere Songs die wir tagtäglich in den Musikozean kippen sind nicht automatisch gut.Es gibt so viele Bands die sich gleich anhören. So viele Songs bei denen ich glaube ich würde sie schon längst gehört haben so angepasst wie die sich anhören. Das ist keine echte Kunst. Das ist vielmehr die Kunst des Zitierens.

Tausendmal lieber höre ich meiner Schwester zu, wenn sie auf der Gitarre spielt und singt, als allen groß daherkommenden Songs von euch. Weil es einen Unterschied gibt: Bei meiner Schwester spüre ich etwas echtes, eine Emotion. Etwas das ihr nicht künstlich erzeugen könnt. Auch wenn ihr noch so genau und so treu euren großen Idolen nach klimpert. Echt bleibt echt. Ihr habt nur Spaß daran Krach zu machen oder zu erzählen, dass ihr in einer Band seid. Echtes Talent kann man nicht einfach durch Laptops und günstige audiointerfaces einkaufen.

Außerdem wissen mittlerweile nur noch wenige wie sie überhaupt mit ihren Werkzeugen umgehen müssten. Unsere Nikon hat den Automatikmodus und die farbliche Überarbeitung übernimmt unsere app. Keiner weiß warum aber alle sind sich einig: Das schaut geil aus. Von Blende, Belichtungszeit, ISO-Werten oder Farbfiltern hat heute keiner mehr eine Ahnung. Ich liebe meine analoge alte Kamera. Ich liebe es wenn ich mir bei jedem einzelnen Bild überlegen muss ob Perspektive, Licht, Schärfe und Motiv ein stimmiges Bild ergeben, welches ich erst Wochen später in der Hand halten werde. Aber dafür halte ich es in der Hand. Ein Bild welches nicht durch perfekte Technik sondern durch einen natürlichen unperfekten Charme überzeugt. Ich brauche keine superscharfen hochauflösende Dateien um von einem Bild angesprochen zu sein.

Echtheit – das brauche ich.

Hier die Fortsetzung

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