Ich bin ja kein Rassist, aber halt schon

Ich hab mir Gedanken zu Rassismus gemacht. Diese sind weder umfassend noch beendet. Ich will sie trotzdem teilen.

Rassismus ist Sache der Nazis. Dachte ich lange. Mich selbst betrifft das nicht. Von mir selbst zeichne ich gerne das Bild eines aufgeklärten, offenen und diskriminierungsfreien Menschen.
Ich gehe auf Kundgebungen gegen die neuen und die alten Rechten. Ich wähle links oder grün. Ich arbeite als Sozialarbeiter viel mit Migranten. Ich habe zu tun mit Menschen, die sonst Ausgrenzung und Rassismus erleben. Bei mir erfahren diese Menschen dann Offenheit und Hilfe. Nein! In meinem Leben hat Diskriminierung keinen Platz. Ich bin kein Rassist. Ich diskriminiere niemanden.

Es ist schön, kein Rassist zu sein. So ein reines Gewissen zu haben.
Es ist schön für eine Welt einzustehen, in der niemand aufgrund seines oder ihres Glaubens, der Hautfarbe, der Herkunft, der sexuellen Orientierung, des Kontostands oder der Gesundheit ausgegrenzt wird. Es ist wundervoll, wenn alle die gleichen Möglichkeiten haben, am süßen bunten Leben teilzuhaben. Schön wär’s.

Ich denke nach, mit wem ich heute zu tun hatte. Zu welchen Menschen hatte ich heute Nachmittag, die letzten drei Tage, in der letzten Woche näheren Kontakt? Mit welchen Menschen habe ich die meiste Zeit zu tun?
Dabei stelle ich mir folgende Fragen:
Wie viele dieser Menschen sind eigentlich Muslime?
Sind Personen mit jüdischer Abstammung dabei?
Wie viele von den Menschen, mit denen ich zu tun hatte, leben gerade von staatlichen Leistungen?

Wie viele Menschen mir denen ich heute Kontakt hatte sind nicht weiß?
Ich bin kein Rassist, aber … Aber ich verhalte mich wie einer. Ich lebe wie einer. Das Gefühl, in einer aufgeklärten, offenen Gesellschaft ohne Diskriminierung zu leben, reicht nicht aus. Eine offene Gesellschaft misst sich nicht an Gefühlen, sondern an Tatsachen.

Die Tatsachen in meinem Alltag sehen düster aus. Ich habe quasi niemanden in meinem engen Freundeskreis, der außerhalb von Europa geboren ist. Ich kenne keine Muslima und keinen Muslim näher. Ich habe so gut wie keinen näheren Kontakt zu Juden, gebürtigen Asiaten oder Osteuropäern. Mein einziges Alibi ist Mate Tabula, mit dem ich zusammen eine Lesebühne veranstalte.

In meinem näheren Freundeskreis ist keiner, der nicht weiß ist. Alle meine Freunde sind weiß. Es erschreckt mich, dies zu sagen, aber: Ich lebe in einer Blase der Offenheit mit anderen privilegierten Weißen. Selbstkritisch kann ich mir durchaus die Frage stellen, ob ich überhaupt berechtigt bin zu behaupten, kein Rassist zu sein. 

Es reicht offensichtlich nicht die Meinung zu haben, selbst nicht rassistisch zu sein. Ob du rassistisch lebst, misst sich daran, wie du handelst, und nicht, wie du glaubst zu handeln. 
Wenn ich sage: „Diskriminierung hat in meinem Leben keinen Platz“, dann nur deshalb, weil ich selbst – ein weißer Hetero-Mann mit Hochschulabschluss – nirgends wirklich Opfer von Diskriminierung werde. Vielleicht bin ich kein Rassist … aber ich lebe in einer rassistischen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der es mir persönlich ziemlich gut geht.

Ich stelle also fest: Mein kleines Leben ist nicht frei von Rassismus. Und weil Rassismus im Kleinen beginnt und im Großen wirkt, ist auch unsere Gesellschaft weit davon entfernt.
Wie viele Chefärzte in Deutschland sind nicht weiß?
Wie viele Chefredakteure von Deutschen Zeitungen, Fernsehsendern oder Nachrichtenportalen sind nicht weiß? Wie viele Spitzenpolitiker sind nicht weiß?
Welche Jobs oder welche Wohnung habe ich bisher nicht bekommen, weil ich weiß bin?
Ich bin kein Rassist. Aber ich lebe in einer rassistischen Gesellschaft. Und ich gebe zu: Ich lebe nicht schlecht darin.

Was mache ich also jetzt? So wie ich das sehe, habe ich zwei Möglichkeiten:
Erstens: Ich kann zugeben, ganz und gar nicht frei von Rassismus zu sein und die Sache abhaken. Wir sind ja alle ein bisschen rassistisch. Das ist normal. Dann wäre ich allerdings ein ignorantes Arschloch. Arschlöcher werden selten glücklich.

Oder zweitens (und das wäre wohl die bessere Alternative): Ich versuche etwas für meine sonst nur als Lifestyle-Meinung vor mir hergetragene Offenheit zu tun. 
So wie Rassismus beginnt auch Offenheit und Solidarität im Kleinen und wirkt im Großen. Darum will ich persönlich in Zukunft versuchen, meine Offenheit schon im Kleinen zu beginnen. Ich lade dich ein, es mir gleich zu tun. Zum Beispiel so: 
Setze dich in die S-Bahn zu den Menschen, zu denen sich sonst keiner setzt. Lächle Menschen an. Beginne ein Gespräch mit einem Ausländer. Oder einem Behinderten. Trete in Kontakt mit ihnen. Lese Bücher von afrikanischen AutorInnen. Schaue Serien, in denen nicht nur Weiße die Hauptrolle spielen. Antworte bei ebay Kleinanzeigen auch denen, die in schlechten Deutsch schreiben.

Setze dich in der Arbeit dafür ein, dass derjenige Bewerber die offene Stelle bekommt, der sie aufgrund seiner Herkunft sonst nicht bekommen würde. 
Wenn du eine Entscheidung beeinflussen kannst, wer als Mieter für eine Wohnung in Frage kommt, schlage jemanden vor, der … Du weißt schon, worauf ich hinaus will.
Mach den Mund auf, wenn ein Trottel über DIE „faulen Afrikaner“, DIE „unmännlichen“ Japaner, DIE „versoffenen“ Polen oder DIE „klischeehaften“ Klischees  schimpft, und entgegne ihm: Hör auf! Das ist rassistischer Blödsinn, den akzeptiere ich nicht.
Bei der nächsten Wahl setze dein Kreuz bewusst nicht bei einem weißen reichen Mann. Stattdessen vielleicht bei einer Frau? Am besten einer mit vielen „Ü“s und absurd vielen „S”-Lauten im Namen. 

Die Wahl, wie wir diese Gesellschaft gestalten möchten, liegt durchaus bei uns. Mich hat es zunächst mal ziemlich erschüttert, festzustellen, dass Rassismus gar nicht mal alleiniger Teil der Nazis ist. Ganz entgegen meines ersten Impulses zu sagen „Nein, Nein! Mit Rassismus hat mein Leben nichts zu tun”, kann ich für mich heute sagen, dass auch ich Teil des Problems bin. Das anzuerkennen hat mir nicht sofort gefallen. Klar. Aber es hat geholfen.

Es kostet uns ein Schritt in Richtung Veränderung, zu mehr echter Offenheit und Vielfalt quasi nichts – außer vielleicht ein wenig Mut. Und mal unter uns: Was habe ich schon zu verlieren?  Nichts. Außer, dass weiß und männlich nicht automatisch heißt, privilegiert zu sein. Auf dieses Privileg möchte ich gerne verzichten, solange es gleichzeitig bedeutet, dass andere hierfür unterprivilegiert sein müssen.

Bleibt gesund! Bleibt positiv!

Hurra!

Dieser Artikel ist mit dem GOLDENEN BLOGGER 2021 in der Kategorie bester Einzelbeitrag ausgezeichet worden. Das wollte ich dann doch mal erwähnen. Ich platze vor Freude! Dankeschön.

30 Gedanken zu „Ich bin ja kein Rassist, aber halt schon

  1. Also ich für meinen Teil stamme aus einer ländlichen Gegend, wo es in meiner Kindheit kaum Ausländer gab. In der Grundschule kann ich mich nicht erinnern, dass es überhaupt ein “ausländisches” Kind gab. Im Gymnasium gab es dann eine dunkelhäutige Familie aus dem Nachbarort mit 3 Kindern, die dann in den Jahrgangsstufen rund um mich verteilt waren. Die wurden zu keiner Zeit irgendwie benachteiligt, waren bei allen Partys mit dabei. Ganz normal. Aus Grafenwöhr kamen Woche für Woche schwarze GIs zu uns in die Disko. Die fielen dann schon negativ auf, aber nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern weil sie halt nur zum saufen rausfuhren und dann oft entsprechend Aufstand machten. Wie deutsche Soldaten damals halt auch, wenn sie aus der Kaserne raus durften. Und ja, ich hab auch fast nur deutsche und weiße Freunde. Aber bin ich deswegen Rassist? Oder liegt es einfach daran, weil ich noch immer am Land lebe, wo es eben kaum Ausländer gibt? Ich umgebe mich mit Menschen, mit denen ich auf einer Wellenlänge liege, egal, wie sie aussehen oder wo sie herkommen. Freude findet man das ganze Leben durch Zufall. Würde ich im Münchner Moloch leben, wäre mein Freundeskreis sicherlich automatisch multikultureller. Aber soll ich jetzt bei mir gezielt nach Freunden suchen, die aus Syrien, China oder den Chile kommen? Rassismus aus dem abzuleiten, dass man das nicht tut, halte ich schon für sehr weit hergeholt. Und was ich bestimmt nie machen werde ist, dass ich jemanden wähle, weil er ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Herkunft hat. Da zählt für mich nur die Leistung. Derzeit wird immer wieder über Quoten für Frauen, LGBT und sonstwas in Firmen, Parteien usw. diskutiert. Viel wichtiger wäre das Verständnis in den Köpfen, dass man die Leute einstellt / aufstellt / nominiert, die am besten für einen Posten geeignet sind – unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe.

    1. Hallo Tom,

      nur mein Gedanke zum Thema Quoten: Das Argument „Wir wollen jemanden der qualifiziert ist für den Job“ ist leider etwas zu kurz gedacht. Viele wollen dass Kompetenz vorgeht – aber Menschen die einstellen, haben leider oft eine „weiße, männliche“ Brille auf. Menschen aus der LGBTQ+ Community, Frauen oder Menschen mit anderer Hautfarbe werden Qualifikationen schon im Vorfeld oft abgesprochen. Natürlich wäre es ehrenwert einen Bewerber ganz neutral zu bewerten – aber das geht auch nur wenn alle Bewerber von Anfang an die gleichen Chancen haben.
      Frauen müssen da erst ein paar Jahre klassische Geschlechterrolle aufholen um neben einem Mann zu bestehen. Die schwarze Community ist – vor allem in Amerika – seit Jahrhunderten systematisch benachteiligt. Das Renne ist also von vornherein unfair. Jemand der Deutsch noch nicht perfekt spricht, kann der beste Arzt oder die beste Ärztin der Welt sein – aber landet trotzdem auf dem Abgelehnt-Stapel.

      Am Ende stelle ich mir auch die Frage: Wie misst man denn überhaupt Kompetenz? Mit einer Note? Mit einem hervorragenden Lebenslauf?
      Diese Messeinheiten halte ich für sehr verrostet. Wenn sich jemand auf einen Job bei mir bewirbt möchte ich dass er/sie meine Firma bereichert – zum Beispiel durch eine neue Sichtweise. Einen anderen Bildungsweg. Oder eine ganz andere Erziehung. Vielleicht sollten wir den Fokus bei Bewerbungen viel mehr auf Vielfalt legen, da diese Entwicklung fördert.

      Wie Jo selbst schreibt: „Ich bin kein Rassist. Aber ich lebe in einer rassistischen Gesellschaft. Und ich gebe zu: Ich lebe nicht schlecht darin.“ Diese Erkenntnis muss man als privilegierter Mensch (egal ob weiß, reich oder männlich) leider einfach schlucken. Und im besten Fall dagegen steuern.

      Nur ein paar Gedanken dazu. Ich hoffe du verstehst meinen Punkt.

  2. „Sind Personen mit jüdischer Abstammung dabei?“
    Jude / Jüdin sind durchaus Selbstbezeichnungen von Juden und Jüdinnen. Ich kenne keine Juden und Jüdinnen, die von sich selber als „von/mit jüdischer Abstammung“ sprechen. Es gibt übrigens auch Juden / und Jüdinnen ohne jüdische Abstammung, denn Konversion (Übertritt) zum Judentum ist möglich.

      1. »Ich habe in meinem Leben so wenig Kontakt … «
        Deswegen bist Du noch kein Rassist. Neugier ist ein guter Anfang. Aber Achtung: Absichtlich Gutes tun ist auch eine Art von Rassismus.Ich empfehle …
        Und noch was anderes:
        »Trete in Kontakt … , Lese Bücher … «
        Das ist kein gutes Deutsch, lieber ebay-Freund!

        1. Hi! Danke für deinen Kommentar. Ich hab den Link aus deinem Kommentar raus genommen. Grund dafür ist, dass in dem Artikel rassistische Begriff reproduziert werden. Zwar als schlechte Beispiele aber trotzdem reproduziert. Das möchte ich nicht weiter verbreiten.

          1. Das kann ich ganz einfach beantworten.
            Ich möchte nicht, dass Menschen sich durch Sprache ausgegrenzt oder herrabgewürdigt fühlen. Zwar kann ich nicht verhindern, dass das passiert, aber ich kann mich entscheiden, dass diese Begriffe in den Kommetaren auf meinem Blog nicht weiter wiederholt oder verbreitet werden.

            Die in deinem Text aufgezählten Begriffe sind in meinen Augen alles andere als harmlos. Vielleicht für uns weiße Deutsche (Anhand deiner Abwehrenden Reaktion vermute ich dich starkt in dieser Gruppe) aber nicht für die Betroffenen.
            Der Begriff “othering” beschreibt das Problem recht gut. Wem (vor allem durch Sprache) immer und immer wieder vorgesetzt wird, dass er oder Sie nicht ganz dazu gehört oder weniger wert ist als die meisten anderen der oder die leidet. Für ein solches Leid möchte ich versuchen nicht mit verantworlich zu sein.

            Mit welchen Recht sollte ich mir herrausnhemen dürfen diskriminierende Fremdbezeichnungen zu benutzen nur weil ich es nicht böse meine?
            Warum ist es uns wichtig diese Begriffe über haubt zu benutzen?

            Ich bin dir noch eine andere Antwort schuldig.
            In deinem ersten Kommetar schreibst du ich sei doch kein Rassist nur weil ich wenig Kontakt zu nicht Weißen habe. Das habe ich auch nicht behaubtet. In meinem Text ging es es mir viel mehr um das Bewusstwerden meiner / unser priviligierten Position als Weiße Deutsche. Dieses Priviligiert sein ist Teil vielleicht sogar Ursprung des Problems von Rassismus. Wie ich ja schreibe: Ich bin kein Rassist, aber ich lebe in einer rassistischen Gesellschaft und ich ich lebe nicht schlecht…
            Ich möchte in einer Gesschaft leben die frei von Rassismus (und auch anderen Ismen) ist. Die Verbannung abwertender Begriffe in meinem Wortschatz ist ein Schritt dorthin.

            Andere Frage: Wo habe ich John Lennon zittiert?

            Viele Liebe Grüße

      1. Ich bin dabei, aber es dauert doch länger …
        Und du kommst nicht gut bei weg, weil du dich bei deiner Ursachenforschung vertust.
        Deine grauenhafte Orthographie spricht für eine emotionale Bedeutsamkeit; es ist dir wichtig. Mir auch. Ich arbeite noch an meinem Beitrag, bis dahin lies doch noch mal in Ruhe, was ich schon schrieb.
        Liebe Grüße einstweilen
        P.S. Du kannst auch bei mir kommentieren. Aber bitte noch mal lesen vorher 😉

  3. @neuleerer Warum müssen Sie Wörter in Ihrem Blog reproduzieren, von denen marginalisierte Gruppen Sie bitten dies nicht mehr zu tun? Warum können Sie nicht auf Worte die Schmerz, Diskriminierung und Rassismen weiterleben lassen verzichten, wenn sie Betroffene darum bitten?
    Im Kontext kann man Fremdbezeichnungen natürlich erklären und ihnen eine geschichtliche Verortung geben ja, – aber selbst da reichen die Abkürzungen der Worte und um diesen Punkt geht es Ihnen ja auch nicht.
    Ein bisschen Respekt wäre angebracht, vor allem wenn man sich selbst nicht so nennen lassen muss/musste. Sie sagen man soll lieber die Probleme dahinter anpacken – aber wie soll das ohne Sprache gehen? Sprache formt den Großteil unseres gesellschaftlichen Lebens – da scheint mir das Vermeiden von diskriminierenden Worten ein wichtiger Teil im Kampf gegen Rassismus. Ich bitte sie Ihre Wortwahl zu überdenken.
    Besten Gruß

    1. »Warum müssen Sie Wörter …« Kurze Antwort: Weil es um diese Wörter geht. Betroffene Gruppen haben mich nicht gebeten. Das ist auch ein Teil des Problems: Dass immer welche für andere mitleiden müssen.
      Lange Antwort: Schreibe ich noch, aber findet sich zum Teil in meinem Blog. Im Beitrag: Heule und herrsche und in dem mit dem bösen Wort (wie gesagt, habe ich John Lennon persifliert – auch ein Rassist?)
      Liebe Grüße

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